Sieben verflixte Jahre Mobilitätsgesetz

Anlässlich des Geburtstages des Mobilitätsgesetzes am 28. Juni veröffentlicht Changing Cities normalerweise das Halbjahresmonitoring zum Ausbau des Radnetzes. Dieses Jahr ist der Ausbau jedoch so minimal vorangegangen, dass sich ein Monitoring erübrigt: Es lohnt sich schlichtweg nicht, dafür Ressourcen einzusetzen. Das Gesetz, das 2018 als Anleitung für die Verkehrswende in der Hauptstadt begann, wurde in den letzten Jahren von der Exekutive bewusst ignoriert, kritisiert Changing Cities.

5,9 Prozent des Berliner Radverkehrsnetzes waren bis Ende 2024 fertiggestellt – allerdings ohne Beachtung der Standards, die im Radverkehrsplan vorgeschrieben sind. Wendet man die dort vorgeschriebenen Maßstäbe an, sind sieben Jahre nach Verabschiedung des Mobilitätsgesetzes gerade mal 1,7 Prozent des 2.698 km langen Radnetzes fertiggestellt. Leider betrifft der Stillstand nicht nur den Radverkehr: Alle Kapitel des Gesetzes werden ignoriert. Wo bleiben der Fußverkehrsplan, die Fortschreibung des Nahverkehrsplans und das Kapitel „Neue Mobilität”?

„Während vergleichbare Städte ihre verkehrspolitischen Visionen umsetzen und so die Lebensqualität ihrer Bürger*innen spürbar verbessern, zerschlägt dieser Senat in einem Anfall von konservativer Durchgreif-Mentalität alles, was nicht in sein rückwärtsgewandtes Bild einer autogerechten Stadt passt: weg mit Tramlinien, Busspuren, Fahrradparkhäusern, Radschnellverbindungen, Radwegeplanungen, Tempo 30, Kiezblocks und nur das halbe Budget für den öffentlichen Nahverkehr. Der Senat wird uns im Herbst 2026 einen Scherbenhaufen hinterlassen: eine Stadt, die an sich selbst verzweifelt, weil seit Jahren Populist*innen Debatten emotionalisieren und die Gemeinsamkeiten in Frage stellen. Bürger*innen verlieren zunehmend das Vertrauen in die Institutionen, weil deren Vorschlaghammer weder den Erhalt des Status-Quo noch ein Zukunftsversprechen hervorbringen, sondern nur Dysfunktionalität. Die Aufräumarbeit nach der Amtszeit dieses Senats wird Berlin viel Kraft und Geld kosten“, sagt Ragnhild Sørensen von Changing Cities. 

Die Senatsverwaltung lobt sich zwar selbst für ihren Einsatz, vergisst aber die gesetzlichen Vorgaben zu erwähnen: Es stimmt, dass 2024 etwa 23 Kilometer Radwege geschaffen wurden – allerdings entspricht das nur 10,9 Prozent der vorgeschriebenen Ziele! Die Verwaltung prahlt, dass sich 84,9 Kilometer Radwege in der Planung befinden, vergisst aber zu erwähnen, dass sie die Planung für etwa 90 Kilometer Radschnellverbindungen „qualifiziert abgeschlossen” hat (Behördendeutsch für gestoppt). Es ist komplett intransparent, von welchen Planungen die Rede ist. Es gibt keinen Vergleich zu den Vorjahren, und durch den Radwegestopp verharren fast alle Radprojekte in einem planerischen Niemandsland und erhöhen somit die Anzahl der Planungen, ohne dass sich die Investitionen lohnen würden oder Bürger*innen einen Nutzen hätten. 

Vergleicht man die senatseigenen Planungszahlen aus den Radfortschritts-Berichten 2022 – 2024, sieht man, dass sich immer weniger Radwege in Planung befinden. D.h. wiederum, dass in den nächsten Jahren auch weniger in Bau gehen und fertiggestellt werden. Changing Cities prognostiziert daher, dass ab 2026 – im Wahljahr! – deutlich weniger Radwege auf die Straße kommen.

Auch die Personalflucht wird verschwiegen: In den letzten Jahren haben unzählige Radverkehrsplaner*innen die Verwaltung verlassen – und sie kehren vermutlich erst dann zurück, wenn wieder konstruktive Mobilitätspolitik gefragt ist. Eine riesige Verschwendung von Zeit, Geld und menschlicher Arbeitskraft.

Die Umschreibung des Gesetzes, die vor allem von der CDU vorangetrieben wurde, wurde aufgrund interner Uneinigkeit zwischen SPD und CDU verworfen. Die Fortschreibung des Radverkehrsplans dagegen ist unumgänglich. Dabei müssen die Fachverbände angehört und beteiligt werden – sowohl bei der Evaluation als auch bei der Fortschreibung: Anfragen gab es bisher keine…

Berlin braucht einen ehrlichen Blick auf seine Mobilität: Aufgabe der Verwaltung und der Politik ist es, Mobilität für alle zu ermöglichen – und zwar in erster Linie für die Vielen, die sich nicht einfach ins Auto setzen können. Und diejenigen, die es nicht wollen. Das Mobilitätsgesetz mit dem Vorrang für den Fuß-, Rad- und öffentlichen Verkehr schafft die gesetzliche Vorlage für diese Mobilität für alle Menschen. Die jetzige Senatsverwaltung jedoch hat offenbar nicht vor, Mobilität für alle zu ermöglichen und verstößt deshalb bewusst gegen das Gesetz. Es bleibt der geschädigten Zivilgesellschaft keine andere Wahl, als den Senat zu verklagen, was Changing Cities dann auch gemacht hat. Das Urteil steht noch aus.


Weiterführende Links:
Pressemitteilung des Senats vom 24. Juni
Informationen zum Monitoring