Das Berliner Mobilitätsgesetz wird am 28. Juni zwei Jahre alt. Changing Cities e.V., der mit dem Volksentscheid Fahrrad maßgeblich zum Entstehen des Gesetzes beigetragen hat, ist aber nicht in Feierlaune: Das Mobilitätsgesetz bleibt Wunschdenken, wenn der Senat nicht liefert. Changing Cities nimmt den Geburtstag des Mobilitätsgesetzes zum Anlass, eine kurze Bilanz über den Stand der Verkehrswende in Berlin zu ziehen.
Mit dem Entwurf des Radgesetzes lieferte Changing Cities nicht nur Anlass und Vorlage für Teile des Mobilitätsgesetzes. Der Verein zeigte damit auch, dass mit nachhaltiger, zukunftsfähiger Verkehrspolitik, die auf das Fahrrad und die gerechte Verteilung des öffentlichen Raumes setzt, Wahlen zu gewinnen sind.
Zwei Jahre nach seiner Verabschiedung sieht es mit der Einlösung des dort verankerten Versprechens auf eine menschengerechte Stadt immer noch mau aus. Entscheidende strategische Dokumente, die handlungsleitend für Senat und Bezirke sind, wurden entgegen der gesetzlich vorgeschriebenen Fristen immer wieder verschoben. Beim handlungsleitenden Radverkehrsplan, der jetzt fertig sein sollte, ist die Vollendung sogar während der laufenden Wahlperiode fraglich. Es fehlen noch immer konkrete Zielvorstellungen für die künftige Verteilung des Verkehrs auf die Verkehrsmittel (Modal Split) – und noch immer kommen regelmäßig Radfahrer*innen und Fußgänger*innen durch den motorisierten Verkehr zu Tode. Vision Zero liegt in weiter Ferne, da es kein systematisches Handlungskonzept gibt.
Da kein Drive hinter der systematischen Umsetzung des Mobilitätsgesetzes vorhanden ist, scheint sich bei vielen Politiker*innen im Land und in den Bezirken die Überzeugung durchgesetzt zu haben, dass man das Mobilitätsgesetz getrost ignorieren könne. Beispiele dafür gibt es massenhaft: Der Lichtenberger Bezirksbürgermeister Grunst (Linke) will zwar mehr Radschnellwege in seinem Bezirk, wehrt sich aber gegen Radwege an den Hauptstraßen. Der Bezirksbürgermeister von Mitte, von Dassel (Grüne), sagt die Umsetzung des gemeinsam mit Bürger*innen erarbeiteten verkehrssicheren Modellkiezes um die Invalidenstraße ab. Der Regierende Bürgermeister Müller (SPD) fordert mehr Beteiligung um das „Ob“ von Pop-up-Radwegen und ignoriert dabei, dass es bei sicheren Radwegen an Hauptstraßen eine gesetzliche Vorschrift zur Anlage gibt. Die Beteiligung kann sich also nur auf das „Wie“ beziehen.
Die Reihe ließe sich endlos fortsetzen. Auch die Opposition ist in Berlin ein Totalausfall. Während CDU-Chef Wegener sich als Vorzeige-Mobilitätspolitiker zu inszenieren sucht, versuchen CDU-Stadträte und BVV-Fraktionen alles, um jeden Fortschritt zu verhindern.
Die Zivilgesellschaft hingegen unterstützt die Verkehrswende, wo sie kann, und geht noch immer regelmäßig mit guten Konzepten und planerischer Kompetenz in Vorleistung. So wurden bereits vor fast zwei Jahren Vorschläge für das Radnetz und den Radverkehrsplan an den Senat übermittelt.
Es gibt allerdings auch erste Lichtblicke: Mit der Einrichtung sogenannter Pop-up-Radwege wurde in den vergangenen drei Monaten die gesetzlich vorgeschriebene Geschwindigkeit bei der Einrichtung von Radinfrastruktur nahezu erreicht.
„Nicht der Senat, sondern erst COVID-19 und die neue Abteilung Verkehrsmanagement haben einigen Schwung in die Umsetzung des Gesetzes gebracht: Eine neuartige Kooperation zwischen Verwaltung und Zivilgesellschaft, die auch von Changing Cities geprägt wurde, ermöglichte die schnelle Errichtung von temporären Pop-up-Radwegen und Spielstraßen. Rot-Rot-Grün hat sich die Verkehrswende auf die Fahnen geschrieben. Wenn sie sich nicht total blamieren wollen, ist jetzt ihre letzte Chance, die Winkefähnchen gegen Arbeitshandschuhe zu tauschen“, kommentiert Ragnhild Sørensen von Changing Cities.
2016 gewann 2RG die Wahlen mit einem klaren Bekenntnis zur Verkehrswende. 2021 muss die Koalition glaubhaft nachweisen, dass sie gewillt und fähig ist, das Vorhaben umzusetzen.
Ansprechpartnerin Changing Cities e.V.:
Ragnhild Sørensen, ragnhild.soerensen@changing-cities.org, 0171 535 77 34
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Informationen zu Changing Cities e.V.
Informationen zum Volksentscheid Fahrrad
Über Changing Cities e.V.: Wir fördern zivilgesellschaftliches Engagement für lebenswertere Städte. Das bislang größte Projekt von Changing Cities e.V. ist der Volksentscheid Fahrrad in Berlin, mit dem es 2016 gelang, die Berliner Verkehrspolitik zu drehen und das bundesweit erste Mobilitätsgesetz anzustoßen. Changing Cities e.V. unterstützt landes- und bundesweit Bürger*inneninitiativen, die sich im Bereich nachhaltige Verkehrswende und lebenswerte Städte einsetzen, mit Kampagnenwissen oder stößt solche Initiativen an. Changing Cities ist als gemeinnützig anerkannt.
Über die Initiative Volksentscheid Fahrrad, ein Projekt von Changing Cities: Hinter dem Volksentscheid stehen Engagierte, Mobilitätsexpert*innen, Demokratie-Retter*innen und Fahrrad-Enthusiast*innen. Ein 10-Punkte-Plan des geplanten Gesetzes benannte konkrete Maßnahmen, jährliche Zielsetzungen und eine Umsetzungsverpflichtung innerhalb von acht Jahren. Der Volksentscheid Fahrrad wurde Berlins schnellster Volksentscheid: Der Antrag auf Einleitung eines Volksbegehrens wurde innerhalb von nur dreieinhalb Wochen von 105.425 Berliner*innen unterschrieben – 7 Prozent der Wähler*innenstimmen. Die neue Koalition sagte darauf zu, alle Ziele und Forderungen zu übernehmen. Am 28. Juni 2018 verabschiedete der Berliner Senat Deutschlands erstes Mobilitätsgesetz. Jährlich werden nun mehr als 50 Mio. Euro in die Radwege investiert.