Radfahrerin getötet, Gefahr war bekannt // Mahnwache

Mahnwache von ADFC Berlin und Changing Cities
Wo: Holzhauser Straße in 13509 Berlin-Tegel, Auffahrt der BAB 111 in Richtung Hamburg
Wann: 6. Februar 2020, 17:30 Uhr

Zum dritten Mal innerhalb von fünf Wochen ist eine Radfahrerin von einem nach rechts abbiegenden Kraftfahrzeug getötet worden. Die Gefahr an der Unfallkreuzung war lange bekannt und bereits 2013 und 2018 angezeigt. Zwei Radfahrerinnen wurden dort schwer verletzt – jeweils von einem rechts abbiegenden Lkw. Die Forderung des ADFC nach einer getrennten Signalisierung blieb ohne Folgen. Die Untätigkeit forderte nun den Tod eines Menschen.


Die 79-jährige Frau wollte am 31. Januar mit ihrem Fahrrad den Radweg der Holzhauser Straße in Berlin-Tegel in Richtung Berliner Straße befahren. Der Fahrer eines Sattelschleppers, der in gleicher Richtung fuhr, erfasste sie beim Abbiegen auf die Auffahrt zur Bundesautobahn 111 und fügte ihr durch das Überfahren schwerste Verletzungen zu. Die Frau verstarb drei Tage später im Krankenhaus. Sie ist der vierte Mensch, der 2020 beim Radfahren in Berlin im Straßenverkehr ums Leben kam – drei von ihnen wurden von rechts abbiegenden Lkw- oder Busfahrern getötet.

Gefährliche Kreuzung war bekannt
Bereits 2013 und 2018 gab es an der Kreuzung zwei Unfälle nach dem gleichen Schema zwischen Radfahrerinnen und Lkw-Fahrern. Beide Radfahrerinnen überlebten schwer verletzt. Der Radweg verläuft an dieser Stelle versteckt hinter Bäumen und wird erst kurz vor der Kreuzung an die Fahrbahn herangeführt, was für schlechte Sichtbeziehungen sorgt. Wegen der offensichtlichen Lebensgefahr machte der ADFC die VLB (heute Abteilung Verkehrsmanagement in der SenUVK) auf die Kreuzung aufmerksam und regte eine getrennte Signalisierung von abbiegenden Kfz und dem Rad- und Fußverkehr an.

Generalunternehmer Alliander blieb untätig
Nach ADFC-Informationen liegt der Auftrag zur getrennten Ampelschaltung seit drei Jahren vor, wird jedoch vom Generalunternehmer Alliander Stadtlicht GmbH nicht umgesetzt. Alliander ist im Auftrag der Stadt für das Management der Ampeln zuständig, braucht jedoch Jahre, um tätig zu werden. Dies führt immer wieder zu Verzögerungen von anderen Baumaßnahmen und dazu, dass gefährliche Kreuzungen nicht entschärft werden. Der ADFC hat daher eine Anfrage nach Informationsfreiheitsgesetz (IFG) an den Senat gestellt, um zu erfahren, welche Leistungen mit dem Unternehmen vereinbart wurden und welche Sanktionsmechanismen im Falle des Nichtnachkommens vertraglich vereinbart sind. Die gesetzliche Frist für die Antwort wird von der Senatsverwaltung seit mehr als zwei Wochen überschritten (Link zur Anfrage: https://bit.ly/3bdwT6c).

„Muss wirklich erst ein Mensch sterben, damit eine Gefahrenstelle entschärft wird? Zwei Radfahrerinnen kamen an dieser Kreuzung knapp mit dem Leben davon. Wir haben bei der Verwaltung explizit Alarm geschlagen, denn der nächste Unfall war nur eine Frage der Zeit. Der Tod dieser Frau hätte verhindert werden müssen. Unsere Erschütterung und Wut ist kaum in Worte zu fassen”, sagt SuSanne Grittner vom ADFC Berlin.

Forderung: Getrennte Signalisierung
Die häufigste Ursache von schweren Kollisionen zwischen Kfz- und Radfahrenden ist fehlerhaftes Abbiegen von Kfz-Führenden. Meist kommt es zum Unfall, weil Kfz-Führende beim Rechtsabbiegen den Vorrang des Rad- und Fußverkehrs missachten. Passiert dies in einem Lkw, sind die Folgen oft besonders gravierend. Eine getrennte Signalisierung der Ampel kann dem Konflikt vorbeugen: Der geradeaus verlaufende Rad- und Fußverkehr und der abbiegende Kfz-Verkehr erhalten je eine eigene Grünphase, risikoreiche Kreuzungen werden entschärft. An Autobahnauffahrten sollten der Fuß- und Radverkehr und der auf die Autobahn auffahrende Kfz-Verkehr grundsätzlich getrennt signalisiert werden.

„Generell erweisen sich Radwege auf dem Gehweg (Hochbordradwege) an Kreuzungen und Einmündungen als unfallträchtig, weil die Wahrnehmung des Radverkehrs durch die Kraftfahrenden selbst bei guten Sichtbeziehungen unzureichend ist”, meint Daniel Pepper vom ADFC Berlin.

„Während in Berlin für Parkplätze gestritten wird und die CSU eine Kampagne gegen das Tempolimit führt, sterben die Menschen auf der Straße. Kaum wahrgenommen von der Öffentlichkeit sind es mehr als 3.000 Menschen, die auf Deutschlands Straßen jedes Jahr sterben. Und wir wissen, dass getrennte Ampelschaltungen und Abbiegeassistenten die lebensgefährlichen Unfälle an Kreuzungen reduzieren können. Der gesunde Menschenverstand fragt sich: Warum passiert nichts?”, so Ragnhild Sørensen von Changing Cities.

Der ADFC stellt am Unfallort ein weißes Geisterrad zur Erinnerung und Mahnung auf. Anschließende Fahrraddemonstration unter dem Motto #VisionZero zum Bundesverkehrsministerium und zum Roten Rathaus.

Die Polizeimeldungen der drei Unfälle mit Schwerverletzten oder Toten (weitere Unfälle möglich, aber vom ADFC nicht erfasst):


Polizeimeldung vom 01.02.2020
„Bei einem Unfall gestern Mittag in Tegel ist eine Radfahrerin schwer verletzt worden. Nach bisherigen Ermittlungen war ein 42-Jähriger gegen 12.15 Uhr mit einem Sattelzug in der Holzhauser Straße in Richtung Berliner Straße unterwegs und bog rechts in die Auffahrt der BAB 111 in Richtung Ausfahrt Hermsdorfer Damm ab. Dabei erfasste er die Seniorin, die mit ihrem Fahrrad auf dem Radweg neben dem Sattelzug fuhr. Die 79-Jährige erlitt Bein-, Kopf- und Rumpfverletzungen und wurde zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus gebracht. […] Ergänzung am 04.02.2020: Die 79-Jährige verstarb gestern Nachmittag an den Folgen ihrer bei dem Verkehrsunfall erlittenen Verletzungen in einem Krankenhaus. Sie ist die neunte Verkehrstote in diesem Jahr.”

Polizeimeldung vom 01.05.2018:

„Gestern Abend wurde eine Fahrradfahrerin bei einem Verkehrsunfall in Tegel schwer verletzt. Bisherigen Ermittlungen zufolge befuhr ein 50-jähriger Fahrer mit einer Sattelzugmaschine gegen 19.20 Uhr die Holzhauser Straße und bog von dort nach rechts auf die Auffahrt zur BAB 111 in Richtung Norden ab. Dabei erfasste er mit der Zugmaschine die 43-jährige Radfahrerin, die den Radweg in gleicher Richtung von der Wittestraße kommend in Richtung Berliner Straße befuhr. Rettungskräfte bargen die schwer verletzte 43-Jährige unter der Zugmaschine und brachten sie zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus. […]”

Polizeimeldung vom 19.04.2013:

„Schwer verletzt kam eine Radfahrerin heute früh nach einem Verkehrsunfall in Reinickendorf in eine Klinik. Die 52-jährige Frau war gegen 8.25 Uhr auf dem Radweg der Holzhauser Straße in Höhe der Auffahrt zur Stadtautobahn von einem abbiegenden Lkw erfasst und mehr als 90 Meter mitgeschleift worden. Anschließend war der Fahrer des Lastkraftwagens weitergefahren.

Durch Ermittlungen des Verkehrsunfalldienstes der Direktion 1 konnte der Lkw-Fahrer namhaft gemacht werden. Es handelt sich dabei um einen 23-Jährigen Mann aus Brandenburg.

Die Frau wird derzeit stationär behandelt. […]”


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