Drei bzw. 200 Jahre Mobilitätsgesetz – eine Bilanz

Changing Cities, der Verein hinter dem Volksentscheid Fahrrad, zieht drei Jahre nach Verabschiedung des Mobilitätsgesetzes eine verheerende Bilanz: Im bisherigen Tempo würde der Berliner Senat bis zu 200 Jahre benötigen, um die Ziele des Gesetzes umzusetzen. Die Verantwortlichen führen die Verwaltung nicht so, wie es für die Bedeutung der Aufgabe nötig wäre.

NetzkategorieSoll 20301Ziel 2030 SenUVK2Fertiggestellt in 20203
Radschnellverbindungen147 km147 km0 km / 0 Prozent
Radwege an Hauptstraßen1.660 / 3.320 km1.389 / 2.778 km39,5 km / 1,4 Prozent
Nebenstraßen im Radnetz  ca. 2.000 km 1.486 km 5,5 km / 0,4 Prozent
Vorrangnetz1.220 km772 km0 km / 0 Prozent
1 – Notwendigkeit gemäß zivilgesellschaftl. Expertise
2 – gemäß Entwurf Radverkehrsnetz
3 – inkl. provisorischer Radwege [Pop-up], km/Prozent

Im Jahr 2020 wurde weniger als ein Prozent des Berliner Radverkehrsnetzes fertiggestellt. Abgesehen von einigen Fortschritten mit Pop-up-Radwegen in Friedrichshain-Kreúzberg missachtet der Senat den Auftrag des Gesetzgebers, das Berliner Radverkehrsnetz bis 2030 auszubauen. Das wichtigste Verwaltungsdokument, der Radverkehrsplan, wird ständig verzögert und voraussichtlich nicht in dieser Legislaturperiode verabschiedet. 

Verantwortlich für die unerträgliche Langsamkeit sind neben der Verkehrssenatorin (Grüne) die zwölf zuständigen Stadträt*innen (sechsmal Grüne, viermal CDU, zweimal SPD), die das Gesetz einfach missachten. 

In Berlin sind knapp die Hälfte aller mit dem Auto zurückgelegten Wege und gut ein Drittel aller Wege mit dem ÖPNV kürzer als fünf Kilometer. Im Rahmen der Verkehrswende müssen diese Strecken für den Radverkehr erschlossen werden. Klimaschädliche Autofahrten werden reduziert, und für Pendler*innen mit längeren Wegen wird dringend benötigter Platz im ÖPNV frei. 

Zudem besteht (Lebens-)Gefahr im Verzug: Die Straßen Berlins sind für Radfahrende und Fußgänger*innen genauso gefährlich wie vor der Verabschiedung des Mobilitätsgesetzes. 19 Radfahrende und 19 Fußgänger*innen wurden 2020 getötet – kein einziger dieser Menschen hätte sterben müssen, wenn die von Verkehrssenatorin Günther geführte Verwaltung ihrer Verantwortung nachgekommen wäre: Es gibt nach wie vor kein Verkehrssicherheitsprogramm, es gibt keine Vision Zero-Strategie, bei der Unfallkommission fehlt jede Sensibilität für die Infrastruktur. Und die Verwaltung weigert sich schlicht, gesetzlich vorgeschriebene Maßnahmen umzusetzen.

Dabei sieht das innovative Berliner Mobilitätsgesetz einen Vorrang des Umweltverbundes, Fuß-, Rad- und öffentlichen Nahverkehrs, vor – eine Umkehrung des bisherigen Prinzips der sogenannten „Leichtigkeit“ des Autoverkehrs. Davon ist allerdings weder auf der Straße noch in der Verwaltung viel angekommen.

„Das Berliner Abgeordnetenhaus hat die Verkehrswende beschlossen, aber der Senat hat sie nie realisiert: Es geht hier nicht um ein paar Maßnahmen oder ein bisschen Anpassung. Die Verkehrswende ist eine riesige Transformationsaufgabe. Sie setzt einen Perspektivenwechsel voraus. Weg von der Planung für Kfz-Fahrende und -Besitzende hin zu einer Förderung klimafreundlicher Mobilität. Dies erfordert vor allem klare, transparente Ziele. Nur mit einer Neuorganisation der Verwaltung, die auch temporäre Maßnahmen einsetzt, prüft und mindestens zwei Kiezblocks pro Bezirk und Jahr umsetzt, kann Berlin das Versäumte aufholen“, fordert Ragnhild Sørensen von Changing Cities.

Die Aufgaben und Notwendigkeiten einer Transformation haben sich seit 2018 nicht geändert, im Gegenteil: Die Aufgabe ist noch gewachsen. „Ein Change Management in der Verwaltung muss her, und das muss ganz oben anfangen. Für den Wandel und die dahinterstehende Vision einer künftigen Großstadt für alle brauchen wir innovatives, lern- und gestaltungsfreudiges Personal in allen Bereichen. Das ist das Anforderungsprofil an künftige Senator*innen, Staatssekretär*innen und Stadträt*innen, die die Verkehrswende glaubhaft vertreten möchten. Das ist es, was die Zivilgesellschaft 2016 mit dem Volksentscheid Fahrrad gefordert hat und worauf sie immer noch wartet“,  sagt Denis Petri von Changing Cities.

Ansprechpartnerin Changing Cities e.V.:

Ragnhild Sørensen, ragnhild.soerensen@changing-cities.org, 0171 535 77 34

Weiterführende Links:

Präsentation in der PK am 28.06.21
Alle Mobilitätsdaten für Berlin (SrV 2018)
Bilder zur kostenlosen Nutzung für die Presseberichterstattung

Über Changing Cities e.V.: Wir fördern zivilgesellschaftliches Engagement für lebenswertere Städte. Das bislang größte Projekt von Changing Cities e.V. ist der Volksentscheid Fahrrad in Berlin, mit dem es 2016 gelang, die Berliner Verkehrspolitik zu drehen und das bundesweit erste Mobilitätsgesetz anzustoßen. Changing Cities e.V. unterstützt landes- und bundesweit Bürger*inneninitiativen, die sich im Bereich nachhaltige Verkehrswende und lebenswerte Städte einsetzen, mit Kampagnenwissen oder stößt solche Initiativen an. Changing Cities ist als gemeinnützig anerkannt.