Berliner Senat streitet Anspruch auf sichere Radwege nicht ab

Vor neun Monaten haben Betroffene, unterstützt durch Changing Cities, Anträge bei der Senatsverwaltung eingereicht, damit geschützte Radwege auf fünf Berliner Straßen angeordnet werden. Die Senatsverwaltung hat nun auf drei Radwegeanträge reagiert: auf den Antrag auf Radwegebau in der Hermannstraße, der Schönhauser Allee und der Treskowallee. Sie weist die Anträge zurück mit verschiedenen Begründungen: Es gibt bereits Radwege (Schönhauser Allee), es werden demnächst Radwege gebaut (Hermannstraße), oder es gäbe keinen Platz für Radwege (Treskowallee). In keinem der drei Fälle lehnt die Senatsverwaltung prinzipiell das Recht auf sichere Radwege ab – sie will sie bloß nicht umsetzen.

„So egal muss man der Senatsverwaltung als Mensch erst einmal sein: Die Senatsverwaltung bestreitet zwar nicht, dass sichere Radwege gebaut werden müssen, wenn für Radfahrende Gefahr für Leib und Leben besteht. Doch dann sucht sie nach Gründen, weshalb sie KEINE bauen muss. Trotz erkannter Gefahr sieht die Senatsverwaltung also keinen Handlungsbedarf. Wer erklärt das den Menschen, die täglich diesen Gefahren ausgesetzt sind? Die Betroffenen haben mit unserer Unterstützung Widerspruch eingelegt“, kommentiert Paul Jäde vom Legal Team bei Changing Cities.

Insgesamt schätzt das Legal Team von Changing Cities die Bescheide als rechtlich wenig überzeugend ein. Die Senatsverwaltung räumt anderen Belangen höhere Priorität ein, insbesondere denen des Kfz-Verkehrs. Damit wird der Sicherheit und Leichtigkeit des Kfz-Verkehrs eine derart hohe Bedeutung zugeschrieben, dass die Sicherheit der Radfahrenden und Fußgänger*innen vernachlässigt wird, egal wie sehr sie leidet. Eine Person, die mit dem Rad zur Arbeit fährt, wird damit gewissermaßen als „weniger wichtig“ bewertet als eine Person, die mit dem Auto zur Arbeit fährt, nur auf Grund des Verkehrsmittels. Diese einseitige Sichtweise ist nach der Meinung von Changing Cities rechtlich nicht haltbar.


Die Begründungen der Senatsverwaltung und unsere Bewertungen im Einzelnen:

Schönhauser Allee
„Es gibt dort schon einen Radweg.“
Der bestehende Radweg stammt aus den 1980er Jahren und entspricht nicht den heutigen Sicherheitsstandards. Damit sicher gefahren werden kann, muss z. B. eine Kfz-Spur eine gewisse Breite haben – dasselbe gilt natürlich auch für den Radverkehr. Dennoch sieht die Senatsverwaltung keinen zwingenden Handlungsgrund. Einer tatsächlichen Gefahrenlage wurde nicht widersprochen.

Hermannstraße:
„Hier sind Radwege geplant.“
Die Senatsverwaltung sieht auch hier die tatsächliche Gefahrenlage, ohne akut handeln zu wollen. Die Radfahrenden müssen sich nun noch mehrere Jahre mit dieser Gefährdung abfinden. Dass in der Zeit bis zur Umsetzung ihre körperliche Unversehrtheit nicht gewährleistet ist, ist für die Senatsverwaltung kein zwingender Handlungsgrund. (Zu den Verzögerungen bei der Umsetzung siehe Tagesspiegel vom 09.10.2024)

Treskowallee
„Hier gibt es keinen Platz für Radwege.“ 
Neben dieser Aussage stellt die Senatsverwaltung außerdem eine hinreichende Gefahrenlage in Abrede. Absurderweise wird bei mangelndem Sicherheitsgefühl trotzdem dazu geraten, mit dem Fahrrad die Treskowallee zu vermeiden und über Nebenstraßen zu fahren.

Auch zur Leipziger Straße und Kaiser-Friedrich-Straße hat sich die Senatsverwaltung mittlerweile geäußert. Dazu erfolgt eine gesonderte Information zu einem späteren Zeitpunkt.

Wir erinnern: Der Berliner Senat hat seit Verabschiedung des Mobilitätsgesetzes im Sommer 2018 erst 5,4 Prozent des Radverkehrsnetzes gebaut, das bis 2030 laut Gesetz fertiggestellt werden soll (Stand: 30. Juni 2024). Das Gesetz schreibt vor, dass auf allen Hauptverkehrsstraßen geschützte Radwege gebaut werden sollen. Die jetzige Senatsverwaltung erwartet, 2024 Radverkehrsanlagen mit einer Gesamtlänge von 16,7 km zu erstellen. Das ist eine „Verbesserung“ um 0,6 Prozentpunkte.

Pressekontakt:
Ragnhild Sørensen, ragnhild.soerensen@changing-cities.org, +49 171 535 77 34

Weiterführende Links:
Bescheid Herrmannstraße geschwärzt
Bescheid Schönhauser Allee geschwärzt
Bescheid Treskowallee geschwärzt

Über Changing Cities e.V.: Wir fördern zivilgesellschaftliches Engagement für lebenswertere Städte. Das bislang größte Projekt von Changing Cities e.V. ist der Volksentscheid Fahrrad in Berlin, mit dem es 2016 gelang, die Berliner Verkehrspolitik zu drehen und das bundesweit erste Mobilitätsgesetz anzustoßen. Changing Cities e.V. unterstützt landes- und bundesweit Bürger*inneninitiativen, die sich im Bereich nachhaltige Verkehrswende und lebenswerte Städte einsetzen, mit Kampagnenwissen oder stößt solche Initiativen an. Changing Cities ist als gemeinnützig anerkannt.