Senatorin Regine Günther hat nach dem Tod einer Radfahrerin am Alexanderplatz angekündigt, die Kreuzung werde nun umgebaut.
Die Kreuzung Otto-Braun-Straße/ Karl-Marx-Allee ist vor allem: groß, gefährlich und mit immens viel Verkehr. Um die Ströme der Radfahrenden und den motorisierten Verkehr auseinanderzuhalten, wurden an dieser Kreuzung in der Vergangenheit zwei traditionelle Fahrradweichen gebaut.
Dabei wird der Radstreifen um eine Autospur Richtung Straßenmitte verschwenkt, damit eine Spur für Rechtsabbieger entsteht. Die Idee dahinter ist, dass die Autos beim Rechtsabbiegen nicht auf die geradeausfahrenden Radfahrer*innen warten müssen. Aus Sicht der Verkehrslenkung Berlin, die in erster Linie den fließenden Kfz-Verkehr im Visier hat, mag das Sinn ergeben. Bezüglich der Verkehrssicherheit ist die Fahrradweiche eine Katastrophe: Rechtsabbiegende Pkw und Lkw sind gezwungen, den Radstreifen bei relativ hoher Geschwindigkeit zu kreuzen. Changing Cities demonstrierte daher im November 2018 in der Holzmarktstraße, wie gefährlich dies ist.
„Sicheres Kreuzungsdesign berücksichtigt alle Verkehrsströme, insbesondere die der ungeschützten Verkehrsteilnehmer*innen und verzeiht Fehler“, so Dr.-Ing. Stefan Lehmkühler von Changing Cities, „es gibt eine Menge Lösungen, die vor allem in den Niederlanden und in Dänemark zeigen, wie Unfälle vermeidbar sind. Insbesondere das niederländische Modell verspricht ein hohes Maß an Sicherheit für die ungeschützten Verkehrsteilnehmer.“
Welche Möglichkeiten gibt es?
Das Kopenhagener Modell
Der Radverkehr bleibt als Hochbordradweg direkt neben der Fahrbahn bestehen; der Radweg ist also baulich von der Kraftfahrzeugspur getrennt. An der Kreuzung gibt es dann getrennte Signalisierung der Abbiegeströme. Geradeaus fahrende Radfahrer*innen und der rechtsabbiegende motorisierte Verkehr haben nie gleichzeitig Grün. Wenn die geradeaus Radfahrenden Grün haben, müssen die abbiegenden Pkw warten und umgekehrt. So reduziert man die Konflikte erheblich. Wichtig dabei ist, dass rechtsabbiegende Pkw niemals mit den geradeaus fahrenden Autos gleichzeitig fahren dürfen, sondern immer nur rechts- und linksabbiegende gleichzeitig. Da diese Kreuzung mehrere Fahrspuren hat, ist die Unfallgefahr zwischen gleichzeitigen Abbiegeströmen gering.
Das niederländische Modell
Dieses Modell geht noch einen Schritt weiter: Auch dort wird der Radverkehr als Hochbordradweg geführt, baulich vom Pkw-Verkehr getrennt. In der Kreuzung wird er dann nach rechts verschwenkt und an den Kreuzungsecken durch eine kleine, schmale „Schutzinsel” vom motorisierten Verkehr getrennt (siehe Bild). Der Pkw-Verkehr muss diese kleinen, linsenförmigen „Inseln“ umfahren, und hat anschließend einen frontalen Blick auf zu Fuß Gehende und Radfahrende, bevor er ihre Wege kreuzt. Dies Modell gilt als besonders sicher. Zudem erlaubt das Kreuzungsdesign, dass ein rechtsabbiegendes Auto vor dem Radweg Platz zum Warten hat, ohne dabei den restlichen Verkehr zu behindern. Neben der besseren Sichtbarkeit sorgen getrennte Signalisierungen der Abbiegeströme und der Radfahrenden dafür, dass sie sich nie in die Quere kommen. Rechtsabbiegende Radfahrende können die Kreuzung zudem ohne Ampel passieren. Das Kreuzungsdesign ist durch farbliche Markierungen intuitiv verständlich; hier weiß jede*r Verkehrsteilnehmer*in unmittelbar, wo er*sie sein darf.
Modell Kreisel
Auch aus den Niederlanden stammt der sichere Kreisel. Der Trick ist hier wie in dem Kreuzungsmodell, dass die Radwege baulich vom Pkw-Verkehr getrennt sind, und dass eine Wartenische für abbiegende Autos geschaffen wird, was einerseits die Sichtbarkeit erhöht, und gleichzeitig den Verkehrsstrom nicht behindert. Ein wesentliches Merkmal ist die Fahrbahnmarkierung: Den Autofahrer*innen wird signalisiert, dass sie an dieser Stelle Rad- und Fußwege kreuzen und nicht umgekehrt, wie es normalerweise in Deutschland praktiziert wird. Bei uns ist das gängige Verständnis, dass Radfahrende und zu Fuß Gehende den fließenden Autoverkehr kreuzen müssen. Das niederländische Modell dagegen setzt bei den schwächeren Verkehrsteilnehmer*innen an: In erster Linie sollen sich vorsichtige Radfahrende, Senior*innen, Kinder oder Rollstuhlfahrende sicher bewegen können, und Autofahrende müssen darauf Rücksicht nehmen.
Das Eindhoven-Modell
Eine konsequente Trennung von motorisiertem Verkehr und ungeschützten Verkehrsteilnehmer*innen bietet der schwebende Eindhovener Kreisverkehr von 2011. Der futuristisch anmutende Brückenkreisel führt den Rad- und Fußverkehr über Rampen etwa 7 Meter über den Pkw-Verkehr und sicher wieder herunter. Die Planer wählten die komplette Trennung der Verkehrsarten, da eine enorme Steigerung des Verkehrs an der Kreuzung mit zunehmenden Sicherheitsdefiziten absehbar war.
Diese Grafik zeigt vereinfacht den Unterschied zwischen deutschem und niederländischem Radwegedesign. Die Sichtachsen des Pkw-Fahrers erweitern sich immens beim seitlich versetzten niederländischen Radweg und erhöhen somit die Verkehrssicherheit beachtlich.
Ansprechpartner*innen für die Presse bei Changing Cities e.V.:
Ragnhild Sørensen, ragnhild.soerensen@changing-cities.org, 0171 535 77 34
Weiterführende Links:
Das niederländische Kreuzungsdesign, im Video erklärt
Das Berliner Mobilitätsgesetz (mit Begründungen)
Das Berliner Radverkehrsnetz, Entwurf vom Oktober 2018
Bilder zur kostenlosen Nutzung für die Presseberichterstattung
Informationen zu Changing Cities e.V.
Informationen zum Volksentscheid Fahrrad
Über Changing Cities e.V.: Changing Cities e.V. ist am 23. Mai 2017 aus Netzwerk Lebenswerte Stadt e.V. umbenannt worden. Das bislang größte Projekt des Vereins ist der Volksentscheid Fahrrad in Berlin, mit dem es gelang, die Berliner Verkehrspolitik zu drehen und das bundesweit erste Mobilitätsgesetz anzustoßen. Changing Cities e.V. unterstützt landes- und bundesweit Bürgerinitiativen, die sich im Bereich nachhaltige Verkehrswende und lebenswerte Städte einsetzen, mit Kampagnenwissen oder stößt solche Initiativen an. Changing Cities ist als gemeinnützig anerkannt.
Über die Initiative Volksentscheid Fahrrad: Hinter dem Volksentscheid stehen Engagierte, Mobilitätsexpert*innen, Demokratie-Retter*innen und Fahrrad-Enthusiast*innen. Ein 10-Punkte-Plan des geplanten Gesetzes benannte konkrete Maßnahmen, jährliche Zielsetzungen und eine Umsetzungsverpflichtung innerhalb von acht Jahren. Der Volksentscheid Fahrrad wurde Berlins schnellster Volksentscheid: Der Antrag auf Einleitung eines Volksbegehrens wurde innerhalb von nur dreieinhalb Wochen von 105.425 Berlinern unterschrieben – 7% der Wählerstimmen. Die neue Koalition sagte darauf zu, alle Ziele und Forderungen zu übernehmen. Am 28. Juni 2018 verabschiedete der Berliner Senat Deutschlands erste Mobilitätsgesetz. Jährlich werden nun mehr als 50 Mio. Euro in die Radwege investiert.