Hauptstadt ohne Hitzeplan

Ein großer Straßenbaum ist gestorben. Drum herum viel Grün und parkende Autos.

Vor genau einem Jahr versprach der Senat einen Hítzeaktionsplan zu erarbeiten, denn mit dem fortschreitenden Klimawandel übersteigt die Zahl der hitzebedingten Toten schon heute die Zahl der Verkehrstoten. 2022 starben 406 Menschen hitzebedingt in Berlin – und wie bei den Verkehrstoten bedeutet hítzebedingt: Diese Sterbefälle hätten durch Schutzmaßnahmen verhindert werden können. 

In der Studie „Global Cities Index 2025” von Oxford Economics erhält Berlin viel Lob: Der Wissenschaftsstandort und viele Erholungs- und Kulturorte verschaffen Berlin ein hohes Ranking (Platz 29 von 1.000). Allerdings benennt die Studie explizit Berliner Schwächen wie Hitze kombiniert mit einer älter werdenden Bevölkerung als nachteilig. 

240 Trinkbrunnen sind gut und wichtig, die Erfrischungskarte und die Kampagne „Bärenhitze” auch, aber am Wochenende wird die erste Hitzewelle auf Berlin zukommen.

Die Berliner*innen brauchen dann weit mehr, um übers Wochenende und durch einen voraussichtlich wieder viel zu heißen Sommer zu kommen: kühle Schutzräume (davon gibt es stadtweit sieben Stück), stadtweite Entsiegelung und Begrünung. 

Wir müssen kreativer werden, indem wir zum Beispiel Kirchen, Bibliotheken, Einkaufszentren oder Supermärkte in unseren Kiezen im Sommer zu Kühlräumen umdefinieren. Es sollten Hitzepläne zur gegenseitigen Unterstützung in der Nachbarschaft erarbeitet und Luftschneisen geschaffen werden, um die Stadtgebiete zu kühlen. Versiegelte Flächen und parkende Autos dagegen sind Wärmespeicher: Jedes geparkte Auto kann die Umgebungstemperatur bis um 1,6 Grad ansteigen lassen. Während ein Auto sich bis zu 60 Grad aufheizen kann, kühlt ein Baum die Luft um bis zu 5 Grad und die Schattenfläche um bis zu 25 Grad Celsius. 

„Hitzetote und Verkehrstote haben eins gemeinsam: Sie hätten nicht sterben müssen, ihr Tod wäre vermeidbar gewesen. Wir als Bürger*innen können noch so viel Wasser trinken und noch so viele Helme tragen, aber all das wird wenig helfen, wenn die Politik und die Verwaltung nicht dafür sorgen, dass die Infrastruktur sicherer wird. Wo bleiben die angekündigten Maßnahmen, Herr Wegner? Wie viele Hitzetote und wie viele Verkehrstote brauchen Sie noch, um ins Handeln zu kommen?“, fragt Ragnhild Sørensen von Changing Cities.

Alle Klimamaßnahmen wurden im Wahlkampf 2023 auf das Sondervermögen verschoben – das allerdings nie gekommen ist. Die Folge: Die Berliner*innen müssen wieder ohne Warnstufen und Hitzepläne durch einen weiteren Hitzesommer improvisieren. Denn ebenso, wie es im Verkehr auch Leicht- und Schwerverletzte gibt, ist die Zahl der Bürger*innen, die stark oder sehr stark unter der Hitze leiden, weit, weit höher als die Zahl der Hitzetoten. Wir haben dafür aber bisher keine deutliche Sprache: eingeschränkte Arbeitsfähigkeit oder hitzebedingte Bewegungseinschränkungen, nicht klimatisierte Wohnungen oder Arbeitsplätze. Von Hitze betroffene Menschen sind meist auf sich allein gestellt. Kleine Fortschritte gibt es in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, wo das Problem zunehmend wahrgenommen wird. 

Da Hitze selbst nicht als Todesursache gilt, nutzen die Forscher*innen die Übersterblichkeit als Indikator für die gefährliche Hitze. „Die tagesgenaue Analyse zeigt, dass erhöhte Tagesmitteltemperaturen schon am selben Tag deutliche Auswirkungen auf die Mortalität haben, der stärkste Effekt zeigt sich aber am Folgetag“, schreiben die Autor*innen der Studie „Weiterentwicklung und Harmonisierung des Indikators zur hitzebedingten Übersterblichkeit in Deutschland“ des Robert-Kochs-Instituts im Juni 2025. 24 Stunden mit durchschnittlich mehr als 20 Grad gelten als gesundheitsgefährdend. Laut einer Studie der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt gehört Berlin zu den künftig am stärksten vom Klimawandel betroffenen Regionen in Deutschland: Im Jahr 2020 war Berlin mit einer Jahresdurchschnittstemperatur von 11,4 °C das mit Abstand wärmste Bundesland.

Weiterführende Links:
Global Cities Index 2025
Ankündigung Hitzeschutzplan vom 21. Juni 2024
Erfrischungskarte
Kampagne „Bärenhitze”
Studie „DAS: Weiterentwicklung und Harmonisierung des Indikators zur hitzebedingten Übersterblichkeit in Deutschland“ vom 1. Juni 2025