Fünf Jahre Mobilitätsgesetz – aber Geschenke gibt’s dieses Jahr nicht

Einen so chaotischen Geburtstag wünscht sich niemand. Obwohl sich in den vergangenen Jahren durchaus etwas im Berliner Radverkehr bewegt hat und die Idee einer Verkehrswende mehr und mehr Einfluss gewinnt, ist Berlin heute so weit von einer nachhaltigen Mobilität entfernt wie seit Jahren nicht mehr. Changing Cities, Ideengeber des Mobilitätsgesetzes, sieht einen Kahlschlag bei Personal und Finanzen kommen.

Es gibt nichts zu feiern, könnte man denken. Und doch gab es echte Verbesserungen in den letzten Jahren: Kottbusser Damm, Müllerstraße, Danziger Straße, Sprengelkiez – Straßen, in denen die Flächenverteilung spürbar stattgefunden hat. Es könnte viel schneller gehen, ja – und genau das ist das Problem: Eine zu zögerliche Umsetzung hat viel zu viel Zeit für Unzufriedenheit gelassen: Radfahrende fühlen sich immer noch nicht sicher, und Autofahrende sehen jeden Meter Radweg als Einschränkung ihres unzeitgemäßen Gewohnheitsrechts. Statt eine klare Vision für die Zukunft zu entwickeln, verheddert sich Berlin im Gegeneinander.

Wichtige Regelwerke des Mobilitätsgesetzes sind nach langwierigen Beratungsprozessen beschlossen (Radverkehrsplan, Radverkehrsnetz, Ausführungsvorschriften für Geh- und Radwege usw.). Sie bilden heute die entscheidende Arbeitsgrundlage für die Umsetzung des Gesetzes. Diese Unterlagen sind – in der Theorie – ein großer Fortschritt. In den vergangenen fünf Jahren wurde dafür entsprechendes Personal aufgebaut.

Trotzdem befindet sich Berlin am Anfang: Das aktuelle Monitoring der Umsetzung des Mobilitätsgesetzes von Changing Cities (vom 23. Juni) zeigt, dass nur 4,5 Prozent des Gesamtradwegenetzes von fast 3.000 km innerhalb der ersten fünf Jahren erstellt wurden – und das auch nur, wenn man die einzuhaltenden Standards ignoriert. Dabei ist die Vollendung bis 2030 vorgesehen.

Wir sehen, dass seit Ende 2022 kaum Radinfrastruktur auf der Straße angekommen ist. Die Wiederholungswahl in Berlin war eine wahre Maßnahmenbremse. Der aktuelle Radwegestopp dagegen bedeutet eine Zäsur: Hier wird ein Miteinander propagiert, eine potemkinsche Verkehrswende. Verkehrssenatorin Schreiner kennt die grundlegenden Regeln der Physik offenbar nicht: Der Platz in der Stadt ist begrenzt – es allen Recht zu machen, ist illusorisch. Der Kahlschlag, der durch SPD und CDU nun eingeleitet wurde, droht die Gesundheit, die Verkehrssicherheit und die Lebensqualität der Berliner*innen langfristig erheblich zu beeinträchtigen. Die Gewinnerin der Klima-Hetze von SPD und CDU heißt AfD. 

Ein Miteinander aller Verkehrsteilnehmenden klingt begrüßenswert. Bislang wurden jedoch, was den Anteil der Fläche, den Verkehrsfluss und die Sicherheit angeht, nur der Kraftverkehr übermäßig gefördert. Und das wissen SPD und CDU. Um ein gerechtes Miteinander geht es ihnen gar nicht. Sie wissen ganz genau, dass Gerechtigkeit für Privilegierte, in diesem Fall die Autofahrende, nach Benachteiligung aussieht, und nutzen dies für ihre populistischen Attacken – sogar gegen geltendes Recht! Sie behaupten, dass Menschen überall ein Anrecht auf ein Auto vor der Haustür mit eigenem, kostenfreien Parkplatz hätten, obwohl das Mobilitätsgesetz eindeutig den Vorrang für den Fuß-, Rad- und öffentlichen Verkehr vorschreibt. Sie wollen mit Einzelprüfungen und Priorisierungen die im Radverkehrsplan festgelegten Standards verwässern, und ignorieren dabei sehenden Auges geltendes Recht. 

Was ist zu tun?

Alle Parteien müssen erkennen, dass Klimaschutz und die dazugehörige Verkehrswende in ihrer Verantwortung liegen. Es ist nicht die Aufgabe unserer Kinder oder von Verbänden oder Interessenorganisationen, unser Überleben zu sichern.

Für den Verkehrsbereich in Berlin bedeutet das konkret – und hier ist insbesondere die SPD, die Miterfinderin des Mobilitätsgesetzes, gefragt:

  • Die geschaffenen Grundlagen und Voraussetzungen (Personal, Finanzen, Pläne) sind für Radverkehrsprojekte und Projekte des Umweltverbunds zu nutzen.
  • Standards des Radverkehrsplans sind einzuhalten und nicht zu verwässern.
  • Blockierende Bezirke müssen dazu gewonnen und eingebunden werden.
  • Abläufe müssen vereinfacht werden, wir brauchen eine  Verwaltungsreform.
  • Planungen für den Ausbau der Radschnellverbindungen müssen beschleunigt werden.

Was Berlin benötigt, sind sichere Radwege, lebenswerte Kieze und bessere Luft, Sicherheit für alle und mehr Gerechtigkeit bei der Verteilung von Verkehrsflächen! Berlin braucht ganz sicher nicht noch mehr Autoverkehr!


Ansprechpartnerin Changing Cities e.V.:
Ragnhild Sørensen, ragnhild.soerensen@changing-cities.org, +49 171 535 77 34

Weiterführende Links:
Informationen zum Monitoring
Präsentation
Bilder zur kostenlosen Nutzung für die Presseberichterstattung

Über Changing Cities e.V.: Wir fördern zivilgesellschaftliches Engagement für lebenswertere Städte. Das bislang größte Projekt von Changing Cities e.V. ist der Volksentscheid Fahrrad in Berlin, mit dem es 2016 gelang, die Berliner Verkehrspolitik zu drehen und das bundesweit erste Mobilitätsgesetz anzustoßen. Changing Cities e.V. unterstützt landes- und bundesweit Bürger*inneninitiativen, die sich im Bereich nachhaltige Verkehrswende und lebenswerte Städte einsetzen, mit Kampagnenwissen oder stößt solche Initiativen an. Changing Cities ist als gemeinnützig anerkannt.