Ende Februar veröffentlicht die Berliner Polizei die Unfallstatistiken des Vorjahres, so auch am vergangenen Dienstag. Im Grunde ist damit auch alles gesagt – denn die Zahlen widerspiegeln vor allem eins: Obwohl hier Menschen sterben, gibt es keinen Aufschrei. Man hat sich daran gewöhnt. Dementsprechend werden auch kaum Maßnahmen ergriffen, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen. „Bei mir geht Verkehrssicherheit vor“, wird die Verkehrssenatorin nicht müde zu beteuern. Für Changing Cities gehen tatsächliche Veränderungen vor.
Die Ignoranz der Verantwortlichen ist alarmierend: Gegenüber dem Vorjahr sind die Zahlen weitgehend gleich geblieben, obwohl immer weniger Kraftfahrzeuge in der Stadt unterwegs sind. An 231 von 251 Messstellen ist der Kfz-Verkehr seit 2015 zurückgegangen – zum Teil erheblich bis zu 50 Prozent. Was ins Auge fällt, ist der stetige Anstieg Getöteter bei den zu Fuß Gehenden nach dem historischen Tiefstand in den Jahren 2020/2021. Die Tendenz, die wir lange beobachten, ist klar: Von den 33 getöteten Verkehrsteilnehmenden waren nur vier im Kfz und 23 zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs. Das Leben außerhalb der Autos wird trotz weniger Kraftfahrzeuge immer gefährlicher.
„Wer für die kleiner und kleiner werdende Gruppe der Autofahrenden Politik macht, schert sich offensichtlich keinen Deut um das Sterben anderer Verkehrsteilnehmenden. 70 Prozent der Getöteten sind Fußgänger*innen und Radfahrer*innen: 70 Prozent, obwohl der Kfz-Verkehr rückläufig ist!!“, sagt Ragnhild Sørensen von Changing Cities.
Wichtig anzumerken ist auch, dass die Unfallstatistik nur einen Bruchteil der Folgen des Kfz-Verkehrs abbildet. Weitere menschliche Schäden und ungeheure Gesundheitskosten entstehen z. B. bei der Luft- und Lärmverschmutzung, was oft ausgeklammert wird, wenn es um Vision Zero geht. Auch Bewegungsarmut und Hitzetode sind Folgen des Kfz-Verkehrs – ein Pkw heizt sich auf über 50°C auf und gibt diese Wärme an die umgebene Stadt ab; schon heute sind die Zahl der Hitzetode höher als die Zahl der Verkehrsunfallopfer.
Die einzige konkrete Maßnahme zur Erhöhung der Verkehrssicherheit aus dem Hause der Senatorin Manja Schreiner (CDU) war der Vorschlag, den Kfz-Rückstau an Kreuzungen aufzulösen. Dieser Vorschlag wurde übrigens nicht mal ansatzweise umgesetzt. Mit solchen Maßnahmen ist Fußgänger*innen und Radfahrenden aber wenig bis gar nicht geholfen.
Auch wenn die Zahl der Getöteten rückläufig ist, sieht man, dass die Zahl der Schwerverletzten seit Jahrzehnten auf hohem Niveau quasi unverändert bleibt. Vision Zero bedeutet allerdings „keine Unfalltoten und Schwerverletzten im Straßenverkehr“, wie Manja Schreiner selbst sagte. Nur, wie wir dieses Ziel erreichen können, sagte sie nicht.
Durch die technisch bedingte erhöhte Sicherheit im Kfz sind es heute vor allem all diejenigen außerhalb der Kraftfahrzeuge, die sterben oder schwer verletzt werden. Um die Vision Zero zu erreichen, sind vor allem infrastrukturelle Maßnahmen erforderlich: Tempo 30 innerorts, ein sicheres, lückenloses Rad- und Fußnetz und sichere Kreuzungen.
Pressekontakt:
Ragnhild Sørensen, ragnhild.soerensen@changing-cities.org, +49 171 535 77 34
Weiterführende Links:
Bilanz zur Verkehrssicherheitslage 2023 vorgestellt vom 26. 02.2024
Parlamentarische Anfrage: Was tut der Senat wirklich für den Autoverkehr? vom 19.02.2024
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