Schulwegsicherheit ab absurdum geführt

Obwohl die Einrichtung von Tempo 30 vor Schulen, Kitas und Senioreneinrichtungen ohne großen Aufwand möglich ist, sieht die Berliner Verkehrsverwaltung hier keinen Handlungsbedarf. Stattdessen sucht sie nach Gründen, dies nicht zu tun. Ihre neueste Kapriole ist folgende: Liegt der Eingangsbereich einer Einrichtung nicht direkt an der Straße, „besteht kein zwingendes Erfordernis für eine Tempo 30-Anordnung“. Die Botschaft ist klar: Liebe Kinder, die Straßen bleiben kein sicherer Ort für Euch.

„Bei mir geht Verkehrssicherheit vor!“, proklamiert die Senatorin Manja Schreiner (CDU) bei jeder Gelegenheit. Wenn es jedoch darum geht, die Handlungsspielräume diesbezüglich auszuschöpfen, geht plötzlich etwas anderes vor: ihr Image der Auto-Verkehrssenatorin.

In einer parlamentarischen Anfrage erklärt die Senatsverwaltung bezüglich 18 von 33 Kitas in Pankow, dass die Lage derer Eingangsbereiche gegen eine verordnete Verringerung der Kfz-Geschwindigkeit spricht. Offensichtlich denkt die Senatsverwaltung, die Kinder könnten sich von zu Hause aus direkt zum Eingangsbereich der Einrichtung beamen, denn um Sicherheit auf dem Weg von Zuhause bis zur Kita / Schule schert sich die Verwaltung nicht. Gerade im Straßenbereich vor den Kitas – egal ob das Gebäude nach hinten versetzt ist oder nicht –ist die Gefahrenlage für Kinder und Eltern häufig am größten. In zehn von den 33 Fällen wurde nicht einmal ein Prüfverfahren eingeleitet, ob Tempo 30 möglich wäre.

„Wenn es um die Verkehrssicherheit von Kindern geht, sollte jede helfende Maßnahme ergriffen werden, und zwar proaktiv. Wer den gesetzlichen Rahmen nicht zu 100 Prozent ausnutzt, um maximale Verkehrssicherheit für unsere Kinder zu erreichen, betreibt bloße Symbolpolitik. Wir vermissen das aktive Handeln der Senatsverwaltung im Bereich der Schulwegsicherheit. Wir sind deshalb gespannt, aber nur sehr vorsichtig hoffnungsvoll, was die Senatorin mit der „Arbeitshilfe Temporäre Schulstraßen“ vorhat, die laut Tagesspiegel in Arbeit ist. Wenn auch hier Maßnahmen zur Erhöhung der Schulwegsicherheit rein optional bleiben, mutiert die wohlklingende Arbeitshilfe zu einer Verweigerungshilfe”, sagt Girina Holland, Leiterin der Schulstraßen-Kampagne, von Changing Cities.

Mit einer Schulstraße soll als Minimum erreicht werden, dass Straßen für einen kurzen Zeitraum morgens den Schüler*innen vorbehalten bleiben. Der Tagesspiegel erwähnt, dass nur Straßen im „Nebennetz unmittelbar vor einer Schule“ gesperrt werden sollen, also keine Hauptstraßen. Hier findet sich bereits ein erstes Schlupfloch: Pech gehabt, liebe Kinder, wenn eure Schule an einer Hauptstraße liegt – hier pfeifen wir auf eure Sicherheit!

Changing Cities arbeitet mit den Organisatoren von Kidical Mass aus Köln zusammen, um Schulstraßen – dauerhaft autofreie Gebiete vor Bildungseinrichtungen – im Verwaltungshandeln zu etablieren. Nach wie vor existieren beim Schulwegmanagement nur Hinweise (rote Markierungen auf einer Karte) auf Gefahrenstellen in der Nähe von Schulen und Kitas – für deren dauerhafte Behebung scheint sich niemand verantwortlich zu fühlen. 

Die erste dauerhafte Schulstraße wurde in der Singerstraße in Mitte eingerichtet, und die Umgestaltung des frei gewordenen Raums ist in Vorbereitung. „Für unsere Kinder dürfen nur 100 Prozent zählen. Für den Straßenverkehr bedeutet dies: 100 Prozent Sicherheit, 100 Prozent Selbständigkeit und 100 Prozent Lebensqualität“, ergänzt Holland.

Pressekontakt:
Ragnhild Sørensen, ragnhild.soerensen@changing-cities.org, +49 171 535 77 34

Weiterführende Links:
„Tempo 30-Abschnitte an Hauptverkehrsstraßen II – Einrichtungen im Bezirk Pankow“, parlamentarische Anfrage vom 12.2.2024
„Probleme mit Elterntaxis“, Tagesspiegel vom 22.2.2024
Informationen zur Schulstraßenkampagne
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Über Changing Cities e.V.: Wir fördern zivilgesellschaftliches Engagement für lebenswertere Städte. Das bislang größte Projekt von Changing Cities e.V. ist der Volksentscheid Fahrrad in Berlin, mit dem es 2016 gelang, die Berliner Verkehrspolitik zu drehen und das bundesweit erste Mobilitätsgesetz anzustoßen. Changing Cities e.V. unterstützt landes- und bundesweit Bürger*inneninitiativen, die sich im Bereich nachhaltige Verkehrswende und lebenswerte Städte einsetzen, mit Kampagnenwissen oder stößt solche Initiativen an. Changing Cities ist als gemeinnützig anerkannt.