„Ich war eigentlich die ganze Zeit damit beschäftigt, die Kinder zu beschützen, statt mit ihnen zu spielen.“

Nürnberg: Ein Kind auf dem laufrad verschwindet fast zwischen zwei parkenden SUVs.

Nürnberg hat seinen ersten Superblock bekommen. Wir sprachen mit Tatjana und Benny darüber, wie sie das in zwei Jahren geschafft haben. Denn sie waren nicht nur die ersten – das ist schon schwer genug. Sie haben es auch geschafft, vier Parteien davon zu überzeugen: die SPD, die Grünen, die ÖDP und die CSU! Da lohnt es sich auf jeden Fall hinzuhören und von ihnen zu lernen.

Am 13. März hat der Nürnberger Stadtrat eine einjährige Superblock-Testphase für den Stadtteil Gostenhof beschlossen. Herzlichen Glückwunsch! Aber wir fangen vorne an: Wie kamt Ihr, Tatjana und Benny, persönlich zu Eurem Engagement für den Superblock?

Tatjana: Vor meinem Fenster ist ständig Stau, und es gibt keinen einzigen Baum in meiner Straße. Ich habe das Gefühl, die Stadt ist einfach nicht für mich gemacht. Dann habe ich vom Superblock-Stammtisch in Gostenhof erfahren. Ich will, dass unsere Stadt grüner wird, es weniger um Autos geht, sondern auch mal um Fahrradfahrende.

Benny: Vor zwei Jahren bin ich mit meiner Tochter unterwegs gewesen – die war da gerade im Laufradalter. Da standen vier Leute an einem Infotisch und haben Autos gezählt. Wir kamen ins Gespräch. Ihre Ideen für verkehrsberuhigte Straßen haben mir sofort aus dem Herzen gesprochen: Wenn Du als Papa von zwei Kindern auf der Straße unterwegs bist, alles zugeparkt und super gefährlich, dann hat man automatisch dieses Anliegen. Ich war eigentlich die ganze Zeit damit beschäftigt, die Kinder zu beschützen, statt mit ihnen zu spielen. Wenn man, wie wir, weder einen großen Garten noch ein Einfamilienhaus hat, sehnt man sich nach Platz auf der Straße. Na ja, zurück zum Infotisch: Dann standen da eben diese vier Leute von “Nürnberg autofrei” und sagten: Mach mit, engagier Dich mit uns!

Was genau hat die Stadt Nürnberg beschlossen? Was wird diesen Sommer in Gostenhof passieren?

Tatjana: Anfang Juni werden in Gostenhof Diagonalfilter installiert, um den Durchgangsverkehr im Viertel zu verringern. Es soll alles vor dem Sommer fertig werden, damit die Menschen den neu gewonnenen Straßenraum über den Sommer nutzen können.

Benny: Richtig, die Stadt kümmert sich um die Poller und alle verkehrlichen Maßnahmen. Das ist ein toller Erfolg. Es gibt aber auch einen Haken: Die Stadt ist nicht bereit, Geld für Gestaltungsmaßnahmen auszugeben. Deshalb wollen wir die Gestaltung als Initiative selbst in die Hand nehmen. Wir wollen die Straße mit mobilen Bäumen, Tischtennisplatten, Spielangeboten und Grünflächen zum Leben erwecken. Dafür haben wir eine Crowdfunding-Kampagne gestartet und freuen uns über Unterstützung! 

Was genau hat es mit Eurem Superblock-Stammtisch auf sich?

Tatjana: Alle zwei Wochen organisieren wir den Superblock-Stammtisch. Wir wollen, dass die Nachbarschaft mitentscheidet, was vor ihrer Haustür passiert. Egal, ob sie für den Superblock sind oder einfach schimpfen wollen: Jeder soll kommen und sich aussprechen können. Ein Ort, um in den Dialog zu kommen.

Benny: Auch auf der Straße wird der Superblock immer mehr zum Thema. Leute sprechen mich teilweise direkt an und fragen mich nach meiner Meinung zu den Plänen. Um das eben nicht auf Facebook und Co. ausarten zu lassen, haben wir den Stammtisch ins Leben gerufen. Dadurch ist unser Unterstützerkreis immer breiter geworden. Vor kurzem hat sich ein Landschaftsarchitekturbüro gemeldet und angeboten, kostenlos die Planung für die Umgestaltung der Straße zu übernehmen: Echt krass! 

Benny und Tatjana von der Initiative Nürnberg autofrei.
Benny und Tatjana von der Initiative „Nürnberg autofrei“.

steht das „S“ in „CSU“ für Superblock?

Eine Sache bringt uns alle zum Staunen: Ihr habt es geschafft, die CSU an Eurer Seite zu haben. Der Antrag wurde gemeinsam von der SPD, den Grünen, der ÖDP und der CSU eingereicht. Was war Euer Geheimrezept?

Benny: Zwei Leute im Team, die unglaublich viel Geduld hatten und von Anfang an meinten: “Wir reden mit allen, auch mit der CSU”. Diese Geduld hat sich ausgezahlt. Ein CSU-Mitglied, der gleichzeitig Vorsitzender des Verkehrsausschusses war, ist unserer Einladung zu einer öffentlichen Diskussionsrunde gefolgt. Zusätzlich gibt es in Nürnberg die besondere Konstellation, dass es eine Mehrheit ohne die CSU gibt. Die CSU stand also ein bisschen mit dem Rücken zur Wand. Wenn sie nicht mitgemacht hätte, hätte sie sich auch nicht den Erfolg auf ihre Fahne schreiben können. Vielleicht steht das “S” in “CSU” wirklich für Superblock?

Wer waren Eure stärksten Verbündeten? Mit wem habt Ihr strategisch zusammengearbeitet?

Tatjana: Es war super wichtig, der Politik zeigen zu können, dass der Wunsch für einen Superblock aus dem Viertel kommt. Deswegen haben wir den ortsansässigen Bürgerverein ins Boot geholt. Die Bürgervereine sind eine Nürnberger Spezialität: Sie sollen der Bürgerschaft als Sprachrohr dienen und haben einen direkten Draht in die politischen Ausschüsse. Den Vorsitzenden unseres Bürgervereins hatten wir von Anfang an auf unserer Seite. Das hat auch der CSU gefallen.

„Ich hatte das gefühl, ich kämpfe nicht alleine“

Hat Euch unser bundesweites Superblock-Netzwerk geholfen?

Benny: Ja, das Netzwerk und Changing Cities waren uns eine Riesenhilfe, denn wir haben keine Verkehrsplaner im Team. Das Verkehrsplanungsamt hatte uns vor einem Jahr zu Verhandlungen eingeladen. Wir sind da recht naiv reingegangen, haben dann aber schnell gemerkt, dass wir am besten konkrete Forderungen mitbringen sollten. Da hat uns Changing Cities super geholfen. Alle hier kennen den Namen Constantin aus dem Changing Cities-FGSM-Team. Er hat sich einfach hoppla hopp mit uns zusammengesetzt und einen Plan entworfen. Genau dieser Plan wurde im Endeffekt die Grundlage für den jetzt beschlossenen Antrag.

Noch etwas: Wir sind ein kleiner Kreis von Leuten. Manchmal gab es echte Durststrecken, Zeiten, wo wir einen langen Atem brauchten. Dann zu merken: Hey, da gibt es Changing Cities und viele Initiativen in anderen Städten, war sehr hilfreich. Letztes Jahr war ich bei einem Eurer Workshops. Das war für mich auf ganz persönlicher Ebene empowernd, zu sehen, dass andere Leute sich für dieselbe Sache einsetzen. Da habe ich mich wieder wirksamer gefühlt. Ich hatte einfach das Gefühl, ich bin nicht alleine und kämpfe hier nicht auf weiter Flur gegen die ganz Großen. 

Wenn Ihr jetzt ein bisschen in die Zukunft träumt, wie wird es sein, diesen Sommer im umgesetzten Superblock durch die Straßen zu laufen?

Benny: Man wird Insekten hören. Es brummt und summt im Sommer, weil so viel Grünfläche da ist, dass Insekten fliegen. 

Tatjana: Und Vögel! Ich stelle mir das ein bisschen romantisch vor, wie im Süden. Die Leute kommen raus und trinken ihren Kaffee. Also, ich würde das ja machen. Und ich glaube, dass auch Menschen, die noch skeptisch sind, dann überzeugt sein werden, wenn sie merken, wie schön es jetzt vor ihrer Haustür ist.

Benny: Ich habe noch zwei ganz konkrete Vorstellungen: In dem Moment, in dem ich aus der Haustür trete, habe ich keine Angst mehr um meine Kinder. Und, ich habe eine Nachbarin. Wir sehen uns immer am Fenster und sie schenkt meinen Kindern Schokolade. Vor Kurzem ist ihr Mann gestorben. Ich würde sie gerne besser kennenlernen, aber wir haben keinen Platz. Ich wünsche mir genau diesen Aufenthaltsort bei uns vor der Tür, wo wir uns treffen können und sie mir ihre Geschichte erzählen kann.

„Netzwerken ist das Wichtigste!“

Wenn Euch vor zwei Jahren jemand gesagt hätte, dieses Jahr – 2025 – kommt der Superblock, hättet Ihr das geglaubt? Was ratet Ihr anderen Menschen, die in ihrem Viertel etwas verändern wollen?

Benny: Ich persönlich habe vor zwei Jahren wirklich so naiv gedacht, der Superblock ist in einem Jahr da. Ich würde allen raten, genauso „naiv“ daran zu gehen: nicht naiv im Sinne von dumm oder unorganisiert, aber mit dem Wissen, Du kannst als kleiner David die Welt tatsächlich verändern. Dazu eine ganze Portion Langmut und Geduld.

Tatjana: Netzwerken ist das Wichtigste! Da hat man zufällig einen netten Landschaftsarchitekten in der Straße und zack einen Unterstützer mehr. Man muss einfach das Vertrauen haben, dass man die richtigen Leute trifft und das Ganze seinen Weg geht.