Du interessierst Dich für Unfalldaten? Du möchtest herausfinden, ob es an bestimmten Straßen oder Kreuzungen bereits zu Unfällen kam, und/oder um Forderungen nach Verkehrsberuhigung mit Fakten zu untermauern? Dann ist dieses How-To genau das Richtige für Dich.
Dieses How-To zeigt Dir, wie Du Unfalldaten findest, sinnvoll aufbereitest und effektiv einsetzt. Die Instrumente dafür: Drei verschiedene Digitale Karten-Angebote, die Du je nach Präferenz nutzen kannst: Die Unfallkarte von Changing-Cities, der Unfallatlas des Statistischen Bundesamtes und Heatview, entwickelt von MITFAHR|DE|ZENTRALE.
Jährlich sterben über 2.500 Menschen im Straßenverkehr, und rund 360.000 werden verletzt (Verkehrsunfälle, Destatis, 2024)1. Mit den richtigen Maßnahmen sind viele dieser Unfälle vermeidbar. Dieses How-To soll die Möglichkeit schaffen, diesen Unfällen mehr Sichtbarkeit zu geben. Entscheidungsträger*innen sollten stärker in die Pflicht genommen werden, Verkehrsunfälle nicht als Kollateralschaden hinzunehmen, sondern sich dem Ziel der Vision Zero, d.h. Null Verkehrstote und Schwerverletzte, ernsthaft anzunehmen.
Wofür nutze ich Unfalldaten?
Der Zugang zu Unfalldaten ist hilfreich, um subjektive Einschätzungen über Gefahrenstellen ggf. untermauern zu können. Mit nachgewiesenen Unfallzahlen erhöhst Du die Chance, dass lokale Behörden aktiv werden, weil sie sich nicht mehr allein auf subjektive Eindrücke, sondern auf sachliche Belege stützen müssen.

Beispiele für Anwendungszwecke:
- Tempolimits: Einführung von Tempo-30-Zonen in Wohngebieten oder besonders sensiblen Bereichen auf Hauptverkehrsstraßen.
- Gefährliche Kreuzungen: Umbauten oder Neugestaltung von Kreuzungen oder Straßen mit Unfallhäufungsstellen (UHS) oder Unfallhäufungslinien (UHL).
- Einschränkung oder vollständiges Verbot des Kfz-Durchgangsverkehrs in bestimmten Straßen oder Straßenabschnitten, etwa als Fahrradstraße, Schulstraße oder im Rahmen eines Kiezblocks.
Wo finde ich Unfalldaten?
Seit 2016 stellt das Statistische Bundesamt2 alle polizeilich erfassten Straßenverkehrsunfälle in Deutschland zusammen und veröffentlicht diese Daten online. Zusätzlich werden die Unfalldaten im sogenannten Unfallatlas – einer digitalen Karte – visuell aufbereitet. Diese Karte wird jährlich aktualisiert und bietet verschiedene Filteroptionen, zum Beispiel nach Jahr und Unfallbeteiligten.
Neben dem offiziellen Unfallatlas gibt es auch von Dritten entwickelte Karten, die auf den Daten des Statistischen Bundesamtes basieren. Diese gehen in ihrer Detailtiefe oft weiter und bieten zusätzliche Funktionen. Zwei solcher Angebote sind die von uns (Changing Cities) entwickelte Unfallkarte sowie die Heatview der MITFAHR|DE|ZENTRALE3.
💡 – Hinweis:
Je nach Bundesland sind die Straßenverkehrsunfälle möglicherweise erst seit 2018 oder 2020 im in den verschiedenen Unfallkarten erfasst. Eine genauere Erläuterung zu den Funktionen des Unfallatlas, unserer Unfallkarte und zu Heatview, findest du im nächsten Abschnitz.“
Unfallkarten und Ihre Merkmale
Bevor wir die einzelnen Unfallkarten im Detail vorstellen, hier ein kurzer Überblick darüber, worin sich die drei Angebote unterscheiden:
Der Unfallatlas vom Statistischen Bundesamt ist die offiziellste und am weitesten verbreitete Lösung. Er eignet sich gut, wenn du schnell einen Überblick über polizeilich erfasste Unfälle in ganz Deutschland suchst – insbesondere mit Filtermöglichkeiten nach Beteiligten. Dafür sind die Filter recht eingeschränkt und Mehrjahresvergleiche nicht möglich.
Die Unfallkarte von Changing Cities bietet deutlich detailliertere Filteroptionen – etwa nach Wochentag, Uhrzeit, Verletzungsgrad oder Unfalltyp – und ist besonders hilfreich, wenn du dich gezielt für Unfälle mit Radfahrenden oder zu Fuß Gehenden interessierst. Ihre Stärke liegt in der Kombination aus Detailtiefe und Nutzerfreundlichkeit.
Heatview.de geht technisch und analytisch am weitesten: Hier werden nicht nur Unfalldaten, sondern auch Geschwindigkeitswerte von Radfahrenden dargestellt – ein Feature, das keine andere Karte bietet. Außerdem erlaubt Heatview eine Auswertung nach dem „Merkblatt zur Unfallkommission“. Dafür ist die Seite technisch anspruchsvoller, lädt langsamer und erfordert zum Teil mehr Fachwissen (z. B. AGS-Codes).
💡 – Hinweis:
Falls Du GIS-Kenntnisse hast oder jemanden kennst, der mit Geodaten vertraut ist, kannst du die Unfalldaten auch als Datenpaket herunterladen und in GIS-Software für eigene Analysen weiterverarbeiten. Dieses Datenpaket enthält deutlich mehr Details und lässt sich mit anderen Datensätzen kombinieren. Die Download-Quellen findest du hier.
Unfallatlas
Der Unfallatlas des Statistischen Bundesamts bietet eine interaktive Karte, auf der Unfalldaten aus ganz Deutschland direkt im Browser visualisiert und durchsucht werden können. Neben der reinen Darstellung gibt es folgende Funktionen:
- Filter nach Unfallbeteiligten (z. B. Radfahrende, Fußgänger*in)
- Darstellung der Unfallhäufigkeit in Straßenabschnitten
- Adresssuche und Lokalisierung
- Export der Kartenansicht in verschiedene Formate (PDF, SVG)
- ABER: Filterung nur pro Jahr möglich – Mehrjahresansicht nicht verfügbar.
Falls Du Unterstützung bei der Nutzung vom Unfallatlas brauchst, findest Du hier eine Anleitung zur Nutzung.
Unfallkarte – Changing Cities
Die Unfallkarte von Changing Cities stellt alle seit 2016 erfassten Unfälle mit Radfahrenden und Fußgänger*innen – inklusive Schwerverletzten (SV) und Getöteten (GT) – als Heatmap dar. Beim Hineinzoomen in die Deutschlandkarte werden die einzelnen Unfälle sichtbar. Zusätzlich stellen wir für jedes Bundesland eine Erweiterung bereit, in der auch Unfälle mit Leichtverletzten (LV) erfasst sind. Die Unfälle werden je nach Schwere farblich unterschieden: Dunkelrot markiert tödliche Unfälle (GT), Orange steht für Schwerverletzte (SV) und Blau kennzeichnet Unfälle mit Leichtverletzten (LV).
Über die reine Visualisierung hinaus bietet jede der Changing Cities Karte folgende Funktionen:
- Angaben zu
- den Unfallbeteiligten
- Jahr des Unfalls
- Wochentag,
- Verletzungsgrad,
- Unfallart und Unfalltyp, sowie
- der Uhrzeit des Unfalls
- Adresssuche und Lokalisierung
- Umfassende Filteroptionen (z. B. nach Jahr, Wochentag, Verletzungsgrad (auch Leichtverletzte), Unfallart, Unfalltyp und Uhrzeit)
Unfallkarten pro Bundesland, auch mit Angaben zu Leichtverletzten
Heatview
Heatview.de ist ein weiteres interaktives Kartenangebot, das von der MITFAHR|DE|ZENTRALE (MFDZ) bereitgestellt wird. Dabei können Fahrrad-Unfalldaten sowie die Durchschnittsgeschwindigkeit von Radfahrenden direkt im Browser visualisiert werden. Auch wenn Heatview.de leistungshungrig ist (d. h. je nach Verbindung und PC können längere Ladezeiten auftreten) und nicht ganz so benutzerfreundlich wie die anderen beiden Kartenoptionen, bietet es einen deutlich höheren Detailgrad und ist sehr ausbaufähig. Neben der reinen Darstellung gibt es folgende Funktionen:
- Unfallinformationen (Unfallart, Unfalltyp, Unfallkategorie, Unfalljahr und ob PKW in den Unfall involviert ist)
- Darstellung der Durchschnittsgeschwindigkeit von Radfahrenden (stadtradeln-Daten, aufbereitet im Rahmen des Forschungsprojekts MOVEBIS)
- Identifizierung von Unfallschwerpunkten
- Zusätzliche Auswertung nach dem „Merkblatt zur Unfallkommission“ der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e. V. (FGSV).
Die Darstellung erfolgt je Stadt- bzw. Landkreis. Zur Auswahl eines Kreises ist dessen fünfstelliger „Amtliche Gemeindeschlüssel (AGS)“ als URL-Parameter anzugeben, z.B. für die Stadt Berlin der AGS “11000” https://heatview.de/?kreis=11000
💡 – Hinweis:
Mehr Informationen zu Heatview.de findest Du auf Github unter mfdz/heatview-website4
Wie engagiere ich mich für sichere Straßen?
In diesem Abschnitt findest Du ergänzende Materialien, um Unfalldaten gezielt in Aktionen, Anfragen und Kampagnen umzusetzen.
Viele Schritte kannst Du alleine gehen – aber gemeinsam geht mehr!
Melde Dich, um Dich zu vernetzen und mitzudiskutieren: info@changing-cities.org.
Vorlagen für Anfragen und Anträge:
Mit einer gut formulierten E-Mail an die zuständige Straßenverkehrsbehörde kannst Du auf Gefahrenstellen aufmerksam machen Wichtig dabei ist: Deine Nachricht sollte nicht nur die Situation beschreiben, sondern auch Fakten liefern und konkrete Maßnahmen einfordern.
Was in Deiner E-Mail unbedingt stehen sollte:
- Konkrete Ortsangabe: Die genaue Stelle benennen, um die es geht.
- Beschreibung der Situation: Wie sieht die Infrastruktur aus, wie wird sie genutzt? Gibt es Konfliktpunkte, z. B. durch parkende Autos, fehlende Radwege, schlechte Sichtachsen?
- Beobachtete Gefährdung: Was genau passiert und wie häufig? Gibt es wiederkehrende Probleme?
- Beleg durch Daten: Schau in unseren Bundesland spezifischen Unfallkarten (s.o), Heatview (s.o.) oder im Unfallatlas (s.o) nach, ob an der beschriebenen Stelle in den letzten fünf Jahren Verkehrsunfälle gab, bei denen Menschen zu Schaden kamen.
- Was soll sich ändern?: Welche Maßnahmen forderst Du konkret? Warum machen sie die Situation sicherer (bessere Sicht, weniger Geschwindigkeit, klare Verkehrsführung …)?
- Rechtslage: Verweise auf die Verpflichtung der Behörde zum Handeln (siehe § 45 StVO, Art. 2 GG, für Berlin ggf. Berliner Mobilitätsgesetz).
- Forderung nach Rückmeldung: Bitte um Antwort und ggf. um ein gemeinsames Gespräch vor Ort.
- Good to have (Visuelle Belege): Fotos der Gefahrenstelle, Screenshots aus dem Unfallatlas oder beschriftete Kartenausschnitte können sehr hilfreich sein, um die Situation anschaulich zu machen und den Handlungsbedarf zu unterstreichen.
Beispiel-E-Mail:
Betreff: Gefährdungslage an [Straßenname/Kreuzung] – Bitte um Maßnahmen
Sehr geehrtes Team der [Straßenverkehrsbehörde] [Bezirk und/oder Abteilung],
an der Stelle [konkrete Ortsangabe] besteht seit längerer Zeit eine erhebliche Gefährdung insbesondere für [Radfahrende oder zu Fuß gehende]. Aus Sicht vieler Anwohnender und Verkehrsteilnehmender ist die aktuelle Situation weder sicher noch tragbar – und widerspricht dem Ziel einer menschenfreundlichen und sicheren Mobilität, Vision Zero.
Was konkret passiert:
[Beschreibe möglichst genau die Situation: Infrastruktur, bestehende Parkordnung, tatsächliches Parkverhalten, beobachtete Gefährdungen usw. Optional: Fotos oder Kartenausschnitt anhängen. Beispiel: Kfz überholen Radfahrende mit zu geringem Abstand, weil keine Radinfrastruktur vorhanden ist. Menschen, die beim Radfahren weniger sicher unterwegs sind – wie Kinder, ältere Personen oder Menschen mit Beeinträchtigungen – werden besonders gefährdet, durch fehlende sichere Querungshilfen oder Abbiege Stellen beim Straßen Seitenwechsel]
Relevanz:
Die Gefährdung ist nicht nur subjektiv, sondern belegbar: Laut Unfallatlas des Statistischen Bundesamtes kam es in den letzten [z. B. fünf Jahren] an dieser Stelle zu [Anzahl] Unfällen mit Personenschaden – darunter [z. B. Anzahl Unfälle mit Beteiligung des Rad- oder Fußverkehrs bzw. Anzahl Schwerverletzte]. Das unterstreicht die Dringlichkeit.
Projiziert man diese Entwicklung in die Zukunft, ist – bei gleichbleibender Unfallhäufigkeit – bis zum Jahr [z.B. 2050] mit etwa [hochgerechnete Anzahl] weiteren Unfällen mit Personenschaden zu rechnen, darunter schätzungsweise [hochgerechnete Zahl] Schwerverletzte.
Rechtlicher Hintergrund:
Sie sind als Straßenverkehrsbehörde verpflichtet, bei erkennbaren Gefährdungen tätig zu werden:
- Diese Pflicht ergibt sich aus Art. 2 Abs. 2 GG, der das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit schützt – auch im Straßenverkehr.
- Die konkrete Ermächtigung, Maßnahmen wie Tempolimits, Halteverbote oder Querungshilfen anzuordnen, liefert § 45 StVO – insbesondere bei besonderen Gefahrenlagen.
- (Falls Berlin: Zusätzlich regeln §§ 10, 17 und 21 des Berliner Mobilitätsgesetzes spezifische Maßnahmen zur Sicherheit, insbesondere an Unfallschwerpunkten.)
Was ich fordere:
Ich bitte um sofortige Prüfung und Umsetzung von Maßnahmen wie:
- [z. B. vorgezogene Bordsteinkante / Gehwegvorstreckung – verhindert das Zuparken von Kreuzungen, senkt die Abbiegegeschwindigkeit und verbessert die Sicht auf Fuß- und Radverkehr]
- [z. B. Tempo 30 – reduziert Geschwindigkeitsunterschiede und schützt besonders schwächere Verkehrsteilnehmende]
- [z. B. Einführung von Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen in sensiblen Bereichen, wie Wohngebieten oder in der Nähe von Schulen und Kitas]
- [z. B. baulich geschützter Radweg oder sichere Radführung – erhöht die Sicherheit und Sichtbarkeit des Radverkehrs]
Ich bitte um eine zeitnahe Rückmeldung mit konkretem Zeitplan. Gerne stehe ich für ein Vor-Ort-Gespräch zur Verfügung.
Mit bestem Gruß
[Name]
[ggf. Adresse oder Bezirk]
[Telefon / E-Mail]
Anleitung zum Unfallatlas
Anleitung zum Unfallatlas:
Unfall (Geo)Daten – Quellen
Unfalldaten:
- Unfallatlas Deutschland
- Verfügbar für einzelne Jahre im Zeitraum 2016–2023
- Quelle: Destatis – Unfallatlas
- Gebündelte Unfalldaten 2016–2023
- Enthält Unfallstatistiken aus mehreren Jahren
- Für einige Bundesländer erst ab einem späteren Jahr verfügbar
- Quelle: MITFAHR DE ZENTRALE
Weitere hilfreiche Daten:
- Schuldaten (nur für Berlin)
- Quelle: GDI Berlin – Geodatensuche (Geoinformationen zu Berlin)
- Generelle Infrastruktur- und Standortdaten
- Generelle Geodaten zu Infrastruktur und Standorten in ganz Deutschland
- Daten beinhalten beispielsweise: Straßen, Gebäude, Schulen, Krankenhäuser etc.
- Die ursprüngliche Datenquelle ist OpenStreetMap (OSM), ein offenes Gemeinschaftsprojekt wie Wikipedia.
Daher können einige Daten fehlen oder fehlerhaft sein, – zB. fehlende Schulstandorte - Quelle: Geofabrik – OpenStreetMap
- Generelle Geodaten zu Infrastruktur und Standorten in ganz Deutschland
Weiterführende Ressourcen
Weiterführende Ressourcen
- Unfalltypen-Katalog – Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V.
- Darstellung der Verkehrsunfälle mit Todesfolge nach § 21 MobG BE – Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt
- Maßnahmenkatalog gegen Unfallhäufungen (MaKaU) – Bundesanstalt für Straßenwesen
- How-to-Superblock – Changing Cities
- Alle Infos zu Schulstraßen (“How-to” und “Toolkit”) – Changing Cities
Fußnoten
- Verkehrsunfälle, Destatis, 2024 ↩︎
- Statistisches Bundesamt ↩︎
- MITFAHR|DE|ZENTRALE ↩︎
- Github – mfdz/heatview-website ↩︎
- Unfalltypenkatalog ↩︎
- Unfalltypenkatalog – Unfalltyp 4 ↩︎
- Unfalltypenkatalog – Unfalltyp 5 ↩︎
- Unfalltypenkatalog – Unfalltyp 6 ↩︎
- Maßnahmenkatalog gegen Unfallhäufungen ↩︎
- GG, Art. 2 Abs. 2 ↩︎
- §45 StVO Abs.1 Satz. 1 ↩︎
- §45 StVO Abs.9 ↩︎
- Fernstraßen-Bundesamt ↩︎
- Berliner Mobilitätsgesetz § 10 Verkehrssicherheit ↩︎
- Berliner Mobilitätsgesetz § 17 Verkehrssicherheitsprogramm ↩︎
- Berliner Mobilitätsgesetz § 21 Besondere Maßnahmen ↩︎
- Darstellung der Verkehrsunfälle mit Todesfolge nach § 21 MobG BE ↩︎
- Berliner Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt – Fachbereich Verkehrsmanagement ↩︎
- Übergeordnetes Straßennetz von Berlin ↩︎
Wer ist für die Beseitigung von Unfallursachen zuständig?
In Deutschland sind die Unfallkommissionen der Länder die zentrale Instanz für die Untersuchung von Unfällen. „Sie haben bundesweit die Aufgabe, Unfallhäufungen zu erkennen, sie zu bewerten und Maßnahmen zur Beseitigung zu beschließen“ (Bundesanstalt für Straßen- und Verkehrswesen). Die Organisation der Unfallkommissionen erfolgt auf Länderebene und kann je nach Bundesland weiter in regionale Zuständigkeitsbereiche unterteilt sein.
Als Handlungsgrundlage wird in der Regel das Merkblatt zur Örtlichen Unfalluntersuchung in Unfallkommissionen (M Uko 2012, FGSV) der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen genutzt.
Wie entstehen Maßnahmen zur Unfallvermeidung?
Bevor Unfallkommissionen Unfallursachen analysieren und Maßnahmen empfehlen, identifizieren sie sogenannte Unfallhäufungsstellen (UHS). Diese Feststellung erfolgt anhand von Unfallkarten und einer Kategorisierung der Unfälle.
Die Unfallkommission nutzt zwei unterschiedliche Unfallkarten zur Identifikation von Unfallhäufungen:
- 1-Jahres-Karte (1-JK):
- Betrachtungszeitraum: 12 Monate
- Enthält alle polizeibekannten Unfälle, einschließlich Sachschadensunfällen
- 3-Jahres-Karte (3-JK):
- Betrachtungszeitraum: 36 Monate
- Enthält nur Unfälle mit Personenschaden
Unfälle mit Leichtverletzten finden bei der Arbeit der Unfallkommissionen kaum Berücksichtigung – dort stehen meist nur schwere Unfälle mit Getöteten oder Schwerverletzten im Fokus. Das führt dazu, dass viele gefährliche Stellen, an denen es regelmäßig zu weniger schweren, aber wiederkehrenden Unfällen kommt, unbeachtet bleiben. Gerade deshalb ist es wichtig, dass du und andere Engagierte diese übersehenen Unfälle anhand der Unfallkarte von Changing Cities sichtbar macht und Druck für Veränderungen aufbauen
Wann gilt ein Ort als Unfallhäufungsstelle (innerorts)?
Unfallhäufungsstellen werden nach festen Grenzwerten definiert, die zwischen Unfallhäufungsstellen (UHS) und Unfallhäufungslinien (UHL) unterscheiden.
Unfallhäufungsstellen (UHS) (z. B. Kreuzungen, Einmündungen)
Innerorts liegt eine Unfallhäufungsstelle vor, wenn:
- innerhalb von 12 Monaten mindestens fünf Unfälle desselben Unfalltyps auftreten. (UHS leicht)
oder - innerhalb von 36 Monaten mindestens fünf Unfälle mit Personenschaden (Leichtverletzte, Schwerverletzte oder Getötete) auftreten, unabhängig vom Unfalltyp. (UHS schwer)
Unfalltypen sind Klassifikationen, die verschiedene Typen von Verkehrsunfällen anhand ihrer Entstehung und typischen Konflikte beschreiben5. Klassifiziert wird dabei ausschließlich die verkehrstechnische Konstellation des Unfalls.
Beispielsweise: Bremst ein Fahrer wegen eines die Fahrbahn überschreitenden Fußgängers scharf ab und prallt deshalb gegen ein ruhendes Fahrzeug, so handelt es sich nicht um einen Auffahrunfall. Vielmehr wird dieser als „Überschreiten-Unfall“ (Unfalltyp 4) eingeordnet, da der Auslöser des Unfalls das Überschreiten der Straße durch den Fußgänger war.
💡 – Hinweis:
Informationen zum Unfalltyp eines Unfalls sind dem Unfallatlas (s. o.) nicht zu entnehmen, sondern nur in der von uns entwickelten Changing Cities Unfallkarte (s. o.), in der Heatview-Karte (s. o.) von MITFAHR|DE|ZENTRALE (MFDZ) sowie in den Ein- und Dreijahreskarten der Polizei. Diese kannst du mittels des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) (z.B. über FragDenStaat.de) für konkrete Örtlichkeiten anfragen.
Unfallhäufungslinie (UHL)
Neben punktuellen Unfallhäufungen gibt es auch Unfallhäufungslinien, die längere Streckenabschnitte betreffen. Diese kommen in Städten aufgrund von vielen Kreuzungen selten vor.
Ein Straßenabschnitt wird als Unfallhäufungslinie eingestuft, wenn:
- Innerhalb von 36 Monaten mindestens drei Unfälle mit Personenschaden des Unfalltyps 46 (Überschreiten-Unfall) auftreten und der Abstand zwischen den einzelnen Unfällen 300 m nicht überschreitet.
D.h. innerhalb von 36 Monaten mindestens drei Unfälle, die maximal 300 m voneinander entfernt sind, zwischen einem Fahrzeug und einem Fußgänger auf der Fahrbahn.
💡 – Hinweis:
Die UHL-Kriterien halten wir bei Changing Cities für überholt. Die Fokussierung auf Unfalltyp 4 – also nur auf Kollisionen zwischen querenden Fußgänger*innen und Fahrzeugen – greift zu kurz. Für eine realistische Bewertung der Radverkehrssicherheit und insbesondere zur Erfassung von Dooring-Häufungen sollten unseres Erachtens mindestens Unfalltyp 57 (ruhender Verkehr) und Typ 68 (Längsverkehr) auch einbezogen werden.
Wie beschließt die Unfallkommission Maßnahmen?
Bei der Erarbeitung von Maßnahmen können Unfallkommissionen auf den digitalen Maßnahmenkatalog gegen Unfallhäufungen (MaKaU) zurückgreifen. Dieser enthält bereits Vorschläge für eine Vielzahl von sogenannten Konflikttypen/Arten von Konflikten.
Grundsätzlich lassen sich die Maßnahmen in zwei Kategorien einteilen: Sofortmaßnahmen, die unmittelbar nach der Analyse umgesetzt werden sollen, sowie mittel- und langfristige Maßnahmen.
💡 – Hinweis:
Die im Maßnahmenkatalog vorgeschlagenen Maßnahmen sind auch online auf der Webseite des MaKaU9 öffentlich zugänglich. Dabei ist es wichtig zu berücksichtigen, dass die Maßnahmen in standardisierten Fällen hilfreich sein können, aber oft nur unzureichend auf die Komplexität des Geschehens eingehen.
Was für Pflichten und Zuständigkeiten hat der Staat für die Verkehrssicherheit?
Pflichten
Der Staat ist verpflichtet, die Sicherheit im Straßenverkehr zu gewährleisten, um das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Bürger*innen zu schützen. Dieses Schutzgebot ergibt sich aus Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG), der das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit garantiert. (GG, Art. 2 Abs. 2)10.
Bei besonderer Gefahrenlage, etwa durch eine Häufung von Unfällen oder unübersichtliche Straßenverhältnisse, sind die Straßenverkehrsbehörden zuständig für Vorkehrsmaßnahmen wie beispielsweise Geschwindigkeitsbegrenzung, Fußgängerüberwege oder Tempo-30-Bereiche. (§45 StVO Abs.1 Satz. 111| §45 StVO Abs.912)
Je nach Bundesland gelten neben den bundesweiten Vorschriften zusätzliche landesrechtliche Regelungen. Ein Beispiel für Berlin findest Du weiter unten.
Zuständigkeiten
In Deutschland sind Straßen je nach Kategorie unterschiedlichen Verwaltungsebenen zugeordnet: Bundesstraßen fallen in die Zuständigkeit des Bundes, Landesstraßen unter die der Bundesländer, während Kreis- und Gemeindestraßen von Landkreisen bzw. Gemeinden betreut werden.
Für Fernverkehrsstraßen wie Autobahnen und Bundesstraßen ist das Fernstraßen-Bundesamt13 die zuständige Behörde für verkehrsrechtliche Anordnungen. Dazu gehören insbesondere übertragene Befugnisse wie die Erteilung bestimmter Erlaubnisse und Ausnahmegenehmigungen sowie die Anordnung von Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen.
Die Verantwortung für verkehrsrechtliche Maßnahmen auf Hauptverkehrsstraßen (Hauptstraßen) und Nebenstraßen auf lokaler Ebene ist je nach Bundesland etwas unterschiedlich organisiert. Meist sind kommunale Behörden – also Behörden in Städten, Landkreisen, Gemeinden oder Bezirken – zuständig.
So findest Du die richtige Anlaufstelle:
- In Großstädten gibt es fast immer eine eigene Behörde oder einen Fachbereich für Verkehr/Mobilität. Dort können die Zuständigen auch zusätzlich wie in Berlin auf Bezirke aufgeteilt sein.
- In kleineren Städten oder Dörfern ist meist eine übergeordnete Behörde auf Landkreisebene zuständig.
💡 – Hinweis:
Die richtige Stelle findest Du am schnellsten per Google-Suche nach „[Name Deiner Gemeinde] + Straßenverkehrsbehörde“. Oft liefert das erste Ergebnis die passenden Kontaktdaten. Alternativ hilft ein Anruf bei Deiner Gemeinde oder Deinem Bezirk.
Berliner Pflichten und Zuständigkeiten
Pflichten
In Berlin gibt es zusätzlich zu den bundesweiten Regelungen im Berliner Mobilitätsgesetz spezifische Vorschriften, die die Verkehrssicherheit gewährleisten und eine Handlungspflicht der Behörden festlegen. Diese Regelungen sind:
- § 10 Verkehrssicherheit14: Der Verkehr soll sicher und rücksichtsvoll gestaltet werden, sodass alle Menschen gefahrlos unterwegs sein können.
- § 17 Verkehrssicherheitsprogramm15: Die Behörden müssen Maßnahmen zur Verkehrssicherheit ergreifen, insbesondere an Schulwegen, Unfallschwerpunkten und Orten mit besonders schutzbedürftigen Personen.
- § 21 Besondere Maßnahmen16: Nach tödlichen Unfällen oder an bekannten Unfallschwerpunkten müssen Prüfungen stattfinden, um weitere Unfälle zu verhindern. Die Ergebnisse sind online verfügbar17.

Eine Besonderheit des Berliner Mobilitätsgesetzes ist außerdem die klare Ausrichtung an der Vision Zero. Ein zentrales Leitbild des Gesetzes ist, die Zahl der schwerverletzten und getöteten Unfallopfer langfristig auf ein Minimum zu reduzieren. „Vision Zero“ dient dabei als Richtschnur für alle Planungen und Maßnahmen zur Verkehrssicherheit.
Zuständigkeiten
In Berlin übernimmt der Berliner Senat, genauer gesagt die zentrale Straßenverkehrsbehörde der Senatsverwaltung, die Verantwortung für sogenannte Hauptverkehrsstraßen: Verkehrsmanagement18 – der Senatsverwaltung. E-Mail: verkehrsmanagement@SenMVKU.berlin.de.
💡 – Hinweis:
Ob eine Straße als Hauptverkehrsstraße gilt, erkennt man oft (aber nicht immer) am Verkehrszeichen 306 (Vorfahrtstraße). Das vollständige HVS-Netz und weitere Informationen zur Straßenkategorisierung findest Du auf der Seite der Berliner Senatsverwaltung Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt19.
Nebenstraßen:
Für die Nebenstraßen sind hingegen die Straßenverkehrsbehörden der Bezirke zuständig.
Die Bezirkliche Straßenverkehrsbehörde ist in Berlin ein Fachbereich des Straßen- und Grünflächenamtes. Das Straßen- und Grünflächenamt ist über die öffentlichen Straßen hinaus auch für die öffentlichen Plätze, geschützten Grünanlagen, Straßen- und Parkbäume, Spielplätze, die bezirkseigenen Kleingartenanlagen, die Pflege der Sportanlagen sowie für die landeseigenen Friedhöfe zuständig.
Straßenverkehrsbehörden der Bezirke – Berlin
- Charlottenburg-Wilmersdorf – svb@charlottenburg-wilmersdorf.de
- Friedrichshain-Kreuzberg – strassenverkehrsbehoerde@ba-fk.berlin.de
- Lichtenberg – svb@lichtenberg.berlin.de
- Marzahn-Hellersdorf – sondernutzung_ag@ba-mh.berlin.de
- Mitte – strassenverkehrsbehoerde@ba-mitte.berlin.de
- Neukölln – SVB@bezirksamt-neukoelln.de
- Pankow – svb@ba-pankow.berlin.de
- Reinickendorf – strassenverkehrsbehoerde@reinickendorf.berlin.de
- Spandau – strassenverkehrsbehoerde@ba-spandau.berlin.de
- Steglitz-Zehlendorf – svb@ba-sz.berlin.de
- Tempelhof-Schöneberg – sv@ba-ts.berlin.de
- Treptow-Köpenick – sga-svb@ba-tk.berlin.de
💡 – Hinweis:
Je nach Bezirk findest Du auf der Website Deiner zuständigen Anlaufstelle genauere Kontaktinformationen (Telefonnummer, Adresse). Zudem können dort Ansprechpartner für spezifische Themen oder Postleitzahlenbereiche in Deinem Bezirk aufgeführt sein!