Eine kleine Gruppe engagierter Menschen im Berliner Stadtteil Neukölln initiierte vor fünf Jahren eine Bewegung, die mittlerweile Nachahmer*innen in 41 Städten und Flächenländern gefunden und zu Deutschlands erstem Mobilitätsgesetz geführt hat. Die Politik muss erkennen: Mit Mobilitätsthemen lassen sich Wahlen gewinnen – oder verlieren.
Dass die Verkehrswende von unten einen solchen Erfolg hat, ist bis heute für viele in Politik und Verwaltung eine Überraschung. Diese breite zivilgesellschaftliche Unzufriedenheit mit der Verkehrspolitik hatte die Politik 2015 schlicht und ergreifend nicht auf dem Schirm. Es gab damals kein Fridays for Future und die erste umfassende und rechtsverbindliche Klimaschutzvereinbarung wurde erst im Dezember 2015 in Paris geschlossen. Aber 105.425 Unterschriften für ein fahrradfreundliches Berlin ließen der 2016 neu gebildeten rot-rot-grünen Koalition keine Wahl: Sie lud die Beteiligten aus der Zivilgesellschaft ein, gemeinsam ein neues Mobilitätsgesetz zu erarbeiten, das schließlich im Juni 2018 verabschiedet wurde.
Tausende ehrenamtliche Stunden stecken in der bisherigen Mobilitätswende in Berlin: das Radgesetz, die Mitarbeit am Mobilitätsgesetz, die Entwicklung des Berliner Radnetzes, Konzepte für Verkehrsberuhigung, die Pläne für die autofreie Friedrichstraße. Aber trotz des enormen Engagements in der Zivilgesellschaft hat sich auf den Straßen in Berlin nicht viel geändert. In einigen Bezirken wird zwar losgelegt – andere ignorieren aber weiterhin die gesetzliche Notwendigkeit, sichere Radinfrastruktur zu schaffen. Auch fehlt bisweilen der Wille und die Durchsetzungskraft auf Senatsebene, um die grundlegenden Dinge wie einen Radverkehrsplan zu bewältigen. Die Zahl der getöteten und schwerverletzten ungeschützten Verkehrsteilnehmenden ist nicht zurückgegangen. Sichere Fahrradinfrastruktur ist immer noch eine Rarität auf den Berliner Straßen.
„Umso mehr erstaunt es, dass der Anteil der Radfahrenden in Berlin steigt und steigt. Nicht wegen, sondern trotz der fehlenden Infrastruktur entscheiden sich mehr und mehr Menschen fürs Rad. Waren es 2013 noch 11 Prozent, sind es 2018 fast 18 Prozent, die das Rad als ihr bevorzugtes Verkehrsmittel nutzen. Folglich kommt es natürlich zu Konflikten, weil für das Radfahren wenig oder kein Platz auf der Straße vorgesehen ist. In Berlin steht parkenden Autos fast doppelt so viel Platz zur Verfügung wie dem gesamten Radverkehr. Mobilitätswende sieht anders aus.“, kommentiert Ragnhild Sørensen von Changing Cities.
41 Radentscheide nach dem Berliner Vorbild und fast wöchentlich kommen neue hinzu. Insgesamt haben diese über 800.000 Unterschriften für eine Mobilität für Menschen statt für Autos gesammelt. In vielen Kommunen ist angekommen, dass Mobilitätspolitik nicht länger vernachlässigt werden darf. Doch auf lokaler Ebene wird schnell klar: Es geht nicht ohne eine entschlossene Bundespolitik. Daher gibt es seit Herbst 2020 das Bündnis BundesRad, eine bundesweite Lobbyorganisation für ein grundlegendes Umdenken in der Mobilitätspolitik. Gemeinsam werden die Radentscheide sich damit in den Wahlkampf zur Bundestagswahl 2021 einmischen.
Ansprechpartnerin Changing Cities e. V.:
Ragnhild Sørensen, ragnhild.soerensen@changing-cities.org, 0171 535 77 34
Weiterführende Links:
Die Grafik ist aus dem Infrastrukturatlas 2020 der Böll-Stiftung
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Informationen zu Changing Cities e. V.
Über Changing Cities e.V.: Wir fördern zivilgesellschaftliches Engagement für lebenswertere Städte. Das bislang größte Projekt von Changing Cities e.V. ist der Volksentscheid Fahrrad in Berlin, mit dem es 2016 gelang, die Berliner Verkehrspolitik zu drehen und das bundesweit erste Mobilitätsgesetz anzustoßen. Changing Cities e.V. unterstützt landes- und bundesweit Bürger*inneninitiativen, die sich im Bereich nachhaltige Verkehrswende und lebenswerte Städte einsetzen, mit Kampagnenwissen oder stößt solche Initiativen an. Changing Cities ist als gemeinnützig anerkannt.