Menschenrecht statt Inklusion – Deutschland kapiert es immer noch nicht

Es war medial keine Erwähnung wert, dass die UN-Behindertenkonvention nun seit genau 15 Jahren in Deutschland gilt. Menschen mit Behinderungen bekommen hier immer noch im besten Fall „Sonderrechte“. Was notwendig wäre, sei aber ein gleichwertiger Zugang und ein Recht auf individuelle Autonomie, keine Sonderstellung oder halbherzige Toleranz, kritisiert Changing Cities. Beispiel: 20 Prozent aller Bahnhöfe in Deutschland sind nicht barrierefrei. „Freie Fahrt“ gilt für Menschen mit Behinderungen nicht.

In Deutschland sind etwa 10 Prozent der Bevölkerung auf Barrierefreiheit zwingend angewiesen. Das ist eine kleine Minderheit, könnte man meinen. Aber beachtliche 30 bis 40 Prozent benötigen Barrierefreiheit als grundlegende Hilfe im alltäglichen Leben – wir reden also von sehr vielen Menschen, die ohne Barrierefreiheit kein freies, selbstbestimmtes Leben führen können.

Barrierefreiheit bei der Bahn bedeutet nicht nur einen Aufzug, es sind auch Leuchttafeln in der richtigen Höhe, am besten mit Audiosignalen kombiniert und Blindenzeichen, die Wege zu den Gleisen weisen. Ein- und Ausstieg muss niveau- und stufenlos sein. Selbst bei den neuen ICE 4-Zügen, die als weit barrierefreier als alle anderen gelten, ist ein Hublift erforderlich, d. h. ohne Hilfe des Bahnhofspersonals kommt ein Mensch im Rollstuhl nicht in den Zug – oder von dort auf den Bahnsteig. Diese Hilfe muss natürlich rechtzeitig vorher rechtzeitig bestellt werden, sonst… ja, was passiert sonst?

Auch auf Straßen und Plätzen werden die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen nicht als gleichberechtigt mitgedacht. Für seheingeschränkte Menschen sind sogenannte durchgehende Leitlinien und Aufmerksamkeitsfelder entscheidend für die Orientierung. Diese gibt es erstens nicht immer, und wenn sie dann zweitens auf den Gehwegen durch abgestellte Fahrräder, E-Scooter, Mülltonnen oder sogar Autos blockiert sind, ist eine räumliche Orientierung nicht möglich: Die Straße wird zur Stolperfalle.

„Es sagt sich so leicht, dass eine barrierefreie Welt für alle das Beste ist. Wer das Privileg genießt, sich keine Gedanken über seine (Bewegungs-)Freiheit machen zu müssen, wird aber selber zur Barriere, wenn er oder sie Menschen mit Behinderungen nicht in allen Lebenszusammenhänge mitdenkt. Dieses Denken kann man lernen. Andere Länder sind da deutlich weiter. Wir müssen weg von Inklusion und hin zu Menschenrechten“, sagt Inge Lechner von Changing Cities.

Was ist die UN-BRK?
Die Grundsätze der UN-Konvention sind in Artikel 3 aufgeführt:
a) die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Autonomie, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, sowie seiner Unabhängigkeit;
b) die Nichtdiskriminierung;
c) die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft;
d) die Achtung vor der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderungen und die Akzeptanz dieser Menschen als Teil der menschlichen Vielfalt und der Menschheit;
e) die Chancengleichheit;
f) die Zugänglichkeit;
g) die Gleichberechtigung von Mann und Frau;
h) die Achtung vor den sich entwickelnden Fähigkeiten von Kindern mit Behinderungen und die Achtung ihres Rechts auf Wahrung ihrer Identität.

Pressekontakt:
Ragnhild Sørensen, ragnhild.soerensen@changing-cities.org, +49 171 535 77 34