Wo verkehrt eigentlich die SPD?

Bei einer Fahrraddemo trägt einer ein Schild: Mobilitätsgesetz verteidigen

Seit einem Jahr ist die Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) im Amt. Mit „Priorisierungen“ hat sie sich einen Namen gemacht, mit ihrem Zauberwort „Miteinander“ sollen mit einem rhetorischen Fingerschnippen alle Interessenkonflikte negiert werden. Berlin wird jedoch auch von der SPD regiert und Changing Cities fragt, was die SPD – außer dem teuren Berlin-Ticket – eigentlich im letzten Jahr für die Verkehrswende getan hat.

2018 verabschiedeten die Sozialdemokrat*innen das Berliner Mobilitätsgesetz – gemeinsam mit den Grünen und der Linken. Sie votierten damit für den Vorrang und Ausbau des Fuß-, Rad- und öffentlichen Nahverkehrs und hielten dies für die Hauptstadt gesetzlich fest. Eine sozial gerechte Verkehrspolitik für alle war das Ziel.

Nichts hört man aber nun von der SPD zur Null-Runde der Senatsverwaltung: Null neue Busspuren eingerichtet, null Radwege saniert, null Unfallschwerpunkte umgebaut, null Fußstapfen vor Schulen markiert, null Countdown-Ampeln installiert. Die SPD schweigt dazu.

„Die SPD fühlt sich offensichtlich wohl im Schatten der Verkehrssenatorin. Sie schweigen, wenn Manja Schreiner ankündigt, Tempo 30-Abschnitte auf Hauptstraßen in Tempo 50 umzuwandeln, wenn die Kiezblock-Finanzierung gekürzt wird oder wenn vollmundig von der Magnetschwebebahn die Rede ist. Denken sie, dass die Verkehrsverwaltung eh nichts auf die Kette kriegt? Oder sind sie klammheimlich mit der CDU-Verkehrs-Politik einverstanden? Hat die Berliner SPD sich innerhalb eines Jahres de facto von einer sozial gerechten Verkehrspolitik verabschiedet?”, fragt Ragnhild Sørensen von Changing Cities.

An einem Punkt hat die SPD entschieden reagiert: Beim Entwurf der CDU-Fraktion zur Entkernung des Mobilitätsgesetzes zog sie im September 2023 die Bremse und setzte sich für den Schutz und Vorrang für Fußgänger*innen, Radfahrer*innen und ÖPNV-Nutzer*innen ein. Es wäre auch zu unglaubwürdig gewesen, wenn sie nach wenigen Jahren ihr eigenes Gesetz torpedieren würde. Ihr Zukunftsprojekt wollte sie nicht einfach so aufgeben.

Das Dilemma, in dem die sozialdemokratische Verkehrspolitik steckt, ist offensichtlich. Sie hat sich auf eine Ehe mit der CDU eingelassen, die an der dysfunktionalen Idee der autogerechten Stadt der 1970er-Jahre festhält. Es gibt schlichtweg wenig Überschneidungen zwischen der Verkehrspolitik der beiden Parteien. Es sei denn, man differenziert zwischen politischer Rhetorik und tatsächlichem Handeln. Während die SPD durchaus die Verkehrswende bejaht, hat sie in den letzten Jahren die Verantwortung für den Mobilitätsbereich allzu bereitwillig anderen überlassen. Sie erinnert dann gerne an die Krankenschwester, die auf ihr Auto angewiesen ist – und versucht, sie gegen die vielen Menschen auszuspielen, die das Auto stehen lassen wollen oder keins besitzen. Besser kann es auch die CDU nicht formulieren.

Die CDU kam lange nicht zum Zuge, hat jedoch – inspiriert von populistischen Kreisen – Verkehr als Mobilisierungsthema entdeckt und es mit kulturkämpferischer Rhetorik aufgeladen. Die Übernahme der Senatsverkehrsverwaltung bot ihr vor allem die Möglichkeit, das Thema öffentlich zu bespielen und gleichzeitig alles, was nach Verkehrswende aussieht, auszubremsen. Der CDU ist vor allem wichtig, dass der Status quo aufrechterhalten wird.

Nach dieser Logik wurden 19 fertig geplante Radwege „priorisiert“, um damit der Wählerschaft zu zeigen, dass man verzögern und ausbremsen kann. Nüchtern betrachtet stellen die 25 km einen vernachlässigbaren Teil des bis 2030 gesetzlich vorgeschriebenen Berliner Radverkehrsnetzes von insgesamt 2.678 km dar. Aber das Signal war deutlich: Alles bleibt, wie es ist. Für Radfahrende heißt das: Alles bleibt gefährlich. Für Autofahrende bedeutet es fortgesetzten Stau, weil zu wenig Menschen auf das Fahrrad oder den ÖPNV ausweichen können.

Ebenso versucht die Senatorin, Tempo 30-Abschnitte in Tempo 50-Abschnitte umzuwandeln. Dabei ist allen klar, dass diese Umwandlung – von teilweise nur 70 Meter langen Abschnitten – vor allem wegen der Signalwirkung an die eigene Wählerschaft beschlossen wurde. Dem Autoverkehr bringen solche Kleinigkeiten nichts, für Radfahrende und Fußgänger*innen wird es allerdings deutlich gefährlicher. „Miteinander” auf CDU’isch.

„Die CDU muss ständig Handeln vortäuschen, denn um dem Autoverkehr wirklich zu helfen, müsste sie in erster Linie für weniger Autos sorgen. Die gängigen Mittel dafür sind: Bessere Fußwege, ein durchgängiges Radnetz, Ausbau des ÖPNV, Parkraumbewirtschaftung etc. – kurz: das Mobilitätsgesetz. Aber genau das kann die Verkehrsverwaltung aus ideologischen Gründen nicht tun. Sie ist also dazu verdammt, Politik zu simulieren und zu hoffen, dass es niemand – die SPD? – merkt!”, kommentiert Sørensen.

Pressekontakt:
Ragnhild Sørensen, ragnhild.soerensen@changing-cities.org, +49 171 535 77 34