Oberbaumbrücke

Gilt hier eigentlich auch das Mobilitätsgesetz?

Entgegen der Pressemitteilung der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (SenUVK) vom 17. Oktober wird die Oberbaumbrücke in Friedrichshain-Kreuzberg eben nicht konform mit dem Mobilitätsgesetz umgebaut. Die relevanten Bedingungen für geschützten Radverkehr werden einfach ignoriert: Wenn Kraftfahrzeuge weiterhin überholen können, ist das ein enormes Sicherheitsrisiko für Radfahrende ausgerechnet auf der am stärksten durch Radverkehr befahrenen Brücke in Berlin. 

Auf jeder Seite erhält der Radstreifen eine Breite von zwei Metern zuzüglich 80 Zentimetern Sicherheitsstreifen. Die Fahrbahn für Kraftfahrzeuge (Kfz) wird von sechs Metern mit zwei Spuren auf eine sogenannte überbreite Spur mit 4,45 Metern verringert. Zwar wird die Oberbaumbrücke dadurch quasi einspurig, doch lässt diese Fahrbahnüberbreite ein Überholen zu und ermöglicht somit de facto ein Nebeneinanderfahren von Kfz auf engerem Raum als zuvor. „Laut Mobilitätsgesetz muss aber überschüssige Fahrbahnbreite dem Fuß- und Radverkehr zugeschlagen werden“, so Malte Preuß von Changing Cities. Weiterhin müsste ein Radstreifen das gegenseitige sichere Überholen der Radfahrenden gewährleisten. Dafür sind zwei Meter nicht ausreichend – besonders, weil alle eine Zunahme des Radverkehrs einschließlich Lastenrädern erwarten.

Bereits im Mai 2019 demonstrierten Aktivist*innen von Changing Cities für eine mobilitätsgesetzkonforme Baustellenführung. Im ersten Schritt wurde nämlich das Absteigen der Radfahrenden erzwungen und damit nicht der Umweltverbund, sondern der Kfz-Verkehr bevorteilt.

Für Radfahrende entsteht zukünftig also folgende Situation: Der fehlende bauliche Schutz des Radstreifens lädt Kfz-Fahrende zum Überfahren desselben ein. Dies wird begünstigt durch die überbreite Kfz-Spur, die ein dichtes Nebeneinanderfahren von Kfz zulässt. Jan Thomsen, Pressesprecher von SenUVK, twittert dazu, dass die Mindestbreite des Radstreifens von zwei Metern erfüllt sei und somit mobilitätsgesetzkonform gebaut würde. 

„Langsam wächst bei uns der Verdacht, dass der Senat das Mobilitätsgesetz so interpretiert: Überbreite Kfz-Spuren und Verschmälerung des Radstreifens auf 2 Meter. Das sehen wir in der Gitschiner Straße, in der Hasenheide, in der Hermannstraße und jetzt auch auf der Oberbaumbrücke. Zwei Meter – und in diesem Fall sogar ohne Protektion – sind ein Armutszeugnis! Wo bleibt die Vision einer fahrradfreundlichen Stadt?“, fragt Ragnhild Sørensen, Pressesprecherin bei Changing Cities. 

Der Kritik an der fehlenden Protektion begegnet Thomsen auf Twitter damit, dass eine nachträgliche Protektion durch den 80 Zentimeter breiten Sicherheitsstreifen möglich wäre. „Dies wäre nur dann eine Lösung, wenn damit eine echte einspurige Fahrbahn mit 3,25 Metern geschaffen würde und der Radstreifen diese Fläche zugeschlagen bekäme. Das Mobilitätsgesetz regelt die Förderung des Umweltverbundes – es ist kein ‘Bonus-Programm’, das vielleicht zum Einsatz kommt, sondern ein Gesetz. Es wurde erlassen, um Tote und Verletzte zu vermeiden und das Klima zu schützen“, so Inge Lechner von Changing Cities.

Die Oberbaumbrücke ist der am stärksten durch Radverkehr befahrene Abschnitt der 17 elektronischen Berliner Zählstellen. Im Jahresdurchschnitt passieren etwa 10.000 Radfahrende täglich diese Brücke. Im April, also vor Baubeginn, befuhren sie fast 347.000 Radfahrende. 

Ansprechpartnerin für die Presse bei Changing Cities e.V.:
Ragnhild Sørensen, ragnhild.soerensen@changing-cities.org, 0171 535 77 34

Weiterführende Links:

Pressemitteilung von SenUVK vom 17.10.2019

Radverkehrszählstellen der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz
Bilder zur kostenlosen Nutzung für die Presseberichterstattung

Illustration von Netzwerk Fahrradfreundliches Pankow

Über Changing Cities e.V.: Wir fördern zivilgesellschaftliches Engagement für lebenswertere Städte. Das bislang größte Projekt von Changing Cities e.V. ist der Volksentscheid Fahrrad in Berlin, mit dem es 2016 gelang, die Berliner Verkehrspolitik zu drehen und das bundesweit erste Mobilitätsgesetz anzustoßen. Changing Cities e.V. unterstützt landes- und bundesweit Bürgerinitiativen, die sich im Bereich nachhaltige Verkehrswende und lebenswerte Städte einsetzen, mit Kampagnenwissen oder stößt solche Initiativen an. Changing Cities ist als gemeinnützig anerkannt.

Über die Initiative Volksentscheid Fahrrad: Hinter dem Volksentscheid stehen Engagierte, Mobilitätsexpert*innen, Demokratie-Retter*innen und Fahrrad-Enthusiast*innen. Ein 10-Punkte-Plan des geplanten Gesetzes benannte konkrete Maßnahmen, jährliche Zielsetzungen und eine Umsetzungsverpflichtung innerhalb von acht Jahren. Der Volksentscheid Fahrrad wurde Berlins schnellster Volksentscheid: Der Antrag auf Einleitung eines Volksbegehrens wurde innerhalb von nur dreieinhalb Wochen von 105.425 Berlinern unterschrieben – 7% der Wählerstimmen. Die neue Koalition sagte darauf zu, alle Ziele und Forderungen zu übernehmen. Am 28. Juni 2018 verabschiedete der Berliner Senat Deutschlands erste Mobilitätsgesetz. Jährlich werden nun mehr als 50 Mio. Euro in die Radwege investiert.