Inge Lechner

„Ich wünsche mir, dass die Kiezblocks-Bewegung ihr Potenzial zur Entfaltung bringt: mehr zu sein, als eine verkehrsplanerische Impulsgebung, sondern eine echte Demokratisierung der Kieze.“

Inge Lechner

Was war für dich der Moment, an dem du dich dazu entschlossen hast, dich für lebenswerte Städte einzusetzen?
Eine Erinnerung ist, dass ich zum hundertsten Mal die laute, volle, gefährliche und atemraubende Frankfurter Allee nur mit Mühe überquert hatte, um zur Arbeit in Lichtenberg zu gelangen. Ich hielt aus Neugier an einem neuen Fahrradladen und wollte eigentlich nur ein Ersatzteil kaufen. An der Tür sah ich einen A4-Zettel, auf dem zur Gründung eines „Fahrradfreundlichen Netzwerkes Lichtenberg“ eingeladen wurde. Ohne genau zu wissen, was damit gemeint war, entschloss ich mich, teilzunehmen – und hatte ein Gefühl von „Endlich, sowas hat gefehlt!“. Wenig später sprach ich zum ersten Mal in meinem Leben in ein Megaphon, um mich gemeinsam mit anderen für die Verbesserung der Verhältnisse auf der Siegfriedstraße einzusetzen. Seither habe ich nicht aufgehört, für die Verkehrswende zu reden und zu demonstrieren.

Gibt es eine bestimmte Überzeugung oder ein bestimmtes Ziel, das dich in deinem Aktivismus antreibt?
Lange habe ich die Ungerechtigkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse, die sich auf der Straße so besonders deutlich und sinnlich erfahren lässt, nicht wahrgenommen. Ich hatte früh Radfahren gelernt, mich immer an den rechten Fahrbahnrand gequetscht und als Kind der 60er auch brav mit 18 meinen Führerschein gemacht, um die Straße und die Freiheit zu erobern.

Das Problem der Luftverschmutzung beim Autofahren war mir relativ früh klar – aber die Verteilung der Fläche schien mir genauso unantastbar, wie es viele Autofahrer*innen immer noch sehen: „Straßen gehören den Autos bzw. den Autobesitzer*innen.“ Das muss sich ändern, wenn meine Enkel*innen hier noch einigermaßen gut leben sollen – und ich finde, das sollen sie.

Gibt es Momente aus den sechs Jahren Changing Cities, die besonders schön, bewegend und/oder einprägsam waren, so dass du dich immer noch sehr an sie erinnerst?
Es sind, ehrlich gesagt, so viele, dass es mir schwer fällt, einzelne herauszugreifen. Meist sind sie mit gemeinsamen Aktionen verbunden: im strömenden Regen Regenbogen-Farben auf einer Straße verteilen, Hand in Hand und zusammen mit alten Weihnachtsbäumen die Oberbaumbrücke mit einem geschützten Radstreifen versehen, im Dinokostüm auf der Mühlendammbrücke gegen die Rückwärtsgewandtheit des Senats protestieren, ein nichtmotorisiertes Auto durch halb Berlin zum Kanzler*innenamt schieben… solche Sachen eben.

Aber für mich ganz persönlich ist es: die Augen zu öffnen für das, was als unverrückbar erscheint, eine Meinung zu fassen, die eigene Stimme zu finden und zu erheben, Menschen anzusprechen und in Austausch zu gehen. Für mich ist das extrem wertvoll.

Was wünschst du dir für die nächsten sechs Jahre Changing Cities? Wo möchtest du die Bewegung für lebenswerte Städte in sechs Jahren sehen?
Ich wünsche mir, dass die Kiezblocks-Bewegung ihr Potenzial zur Entfaltung bringt: mehr zu sein, als eine verkehrsplanerische Impulsgebung, sondern eine echte Demokratisierung der Kieze. Ich wünsche mir, dass sowohl die Kiezbewohner*innen als auch die Verwaltungsmitarbeiter*innen und Politiker*innen, die ja auch selber Teil der Zivilgesellschaft sind, erkennen, dass sich gemeinsam mehr erreichen lässt – für alle. Ich wünsche mir, dass wir alle unsere Umgebung und unsere Lebensumstände mehr in die eigenen Hände nehmen können – und dass die Regierenden bzw. Verwaltenden den Mut dazu und das Vertrauen in die Zivilgesellschaft aufbringen.

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