So sicher sind die deutschen Straßen: Fast 300 Verkehrstote pro Monat

Berlin, 2. August 2018 – Das statistische Bundesamt hat die Unfallentwicklung auf deutschen Straßen für 2017 veröffentlicht. Aus den Zahlen geht hervor, dass das Ziel der Bundesregierung von 2011, nur 200 Verkehrstote pro Monat, bis 2020 nicht erreicht wird. Changing Cities fordert das Verkehrsministerium (BMVI) auf, unverzüglich Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit, insbesondere ungeschützter Verkehrsteilnehmer*innen, zu ergreifen.

„Zwischen 2010 und 2017 ist die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland insgesamt um 13 Prozent zurückgegangen“, stellt das statistische Bundesamt nüchtern fest. Was wie ein Erfolg klingt, beschreibt aber nichts weniger als ein politisches Versagen. Vor sieben Jahren bekannte sich das BMVI zum nationalen Verkehrssicherheitsprogramm (VSP) mit dem Ziel, die Zahl der Verkehrstoten um ganze 40 Prozent bis 2020 zu reduzieren. Drei Jahre vor Ablauf der Frist ist klar, dass dieses selbstgesteckte Ziel nicht erreicht wird. In konkreten Zahlen geht es um etwa 800 Menschen pro Jahr, die laut dem Plan des VSP nicht hätten im Verkehr sterben sollen. Sind sie aber.

Die Verantwortung dafür liegt eindeutig bei der öffentlichen Hand, denn die Bürgerinnen und Bürger können nur die Regeln einhalten; tun sie es nicht, weil Menschen eben nicht fehlerfrei sind, müsste das System dieses Fehlverhalten auffangen. Es wird aber eine enorm hohe Zahl Getöteter (2017: 3180) und Verletzter (2017: 393.492) in Kauf genommen.

Wie der Unfallbericht feststellt, verursacht allein erhöhte Geschwindigkeit von Pkw mehr als ein Drittel der im Verkehr Getöteten, sprich über 1.000 Personen jährlich. Die meisten Fahrradunfälle passieren am hellichten Tag (82 Prozent), in 75 Prozent sind die Unfallgegner*innen Pkw-Fahrer*innen. „Eine bauliche Trennung der Verkehrsarten ist unumgänglich, wenn die Zahl der Getöteten reduziert werden soll. Berlin hat mit dem ersten Mobilitätsgesetz in Deutschland einen Schritt in die richtige Richtung gemacht, aber nur eine nationale Verkehrswende kann das Sterben auf der Straße beenden“, sagt Sophie Lattke vom Changing Cities e.V., der über einen Volksentscheid das Gesetz in der Hauptstadt auf den Weg gebracht hat.

Ungeschützte Verkehrsteilnehmer*innen leben vor allem in den Ballungszentren gefährlich: Innerorts wurden 2017 fast doppelt so viele schwache Verkehrsteilnehmer (600) getötet als dies der Fall war für Personen (322), die mit motorisierten Individualverkehr unterwegs waren.

Insbesondere Senior*innen gilt es, verstärkt zu schützen, denn deren demografischer Anteil der Gesamtbevölkerung nimmt zu (21,2%). Sie sind zudem heute aktiver und verstärkt sowohl mit dem Auto als auch mit dem Fahrrad unterwegs. Besonders unter den getöteten Fußgänger*innen und Radfahrenden waren über die Hälfte älter als 65-Jahre.

Auch Kinder waren 2017 unter den Getöteten: 139 Kinder unter 18 wurden 2017 im Verkehr getötet. Die Mehrheit dieser Kinder war zu Fuß und mit dem Rad unterwegs. Da die Städte die Sicherheit der Kinder nicht entscheidend vorangebracht hat, wird das Problem vor allem individuell gelöst: Und zwar mit dem Auto. Die Eltern wissen sich in der jetzigen Infrastruktur nur zu helfen, indem sie die Kinder von der Straße holen.

Für das neue Verkehrssicherheitsprogramm 2021–2030 des BMVI wird das Verkehrsministerium seine Anstrengungen erhöhen müssen. Tempo 30 in den Städten, konsequente Geschwindigkeitsreduktion auf den Landstraßen, Ausbau einer sicheren Radinfrastruktur und das Bekenntnis zur Verkehrswende sowie zur fehlerverzeihenden Vision Zero sind alles Maßnahmen, die die Sicherheit auf den Straßen erheblich erhöhen würden. Solange Mobilität aber nahezu ausschließlich dem motorisierten Verkehr den Vorrang gibt und zwar mit der statistischen Begründung, die Deutschen fahren nun mal gerne Auto, lassen sich die Unfallzahlen kaum weiter reduzieren. Erst wenn die Politik den Verkehr grundlegend anders organisiert und priorisiert, werden die Straßen sicherer.

Ansprechpartnerin für die Presse im Team Changing Cities e.V./Volksentscheid Fahrrad:
Ragnhild Sørensen, ragnhild.soerensen@changing-cities.org, 0171 535 77 34

Weiterführende Links:
Unfallentwicklung auf deutschen Straßen 2017 v. 12. Juli 2018
Pressemitteilung des Statistischen Bundesamt
Video zu Fahrradunfällen vom Statistischen Bundesamt
Kurzbericht Mobilität in Deutschland 2017 vom Juni 2018
Informationen zu Changing Cities e.V.
Informationen zum Volksentscheid Fahrrad
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Über Changing Cities e.V.: Changing Cities e.V. ist am 23. Mai 2017 aus dem Netzwerk Lebenswerte Stadt e.V. entstanden. Das bislang größte Projekt des Vereins ist der Volksentscheid Fahrrad in Berlin, mit dem es 2016 gelang, die Berliner Verkehrspolitik zu drehen und das bundesweit erste Mobilitätsgesetz anzustoßen. Changing Cities e.V. unterstützt landes- und bundesweit Bürgerinitiativen, die sich im Bereich nachhaltige Verkehrswende und lebenswerte Städte einsetzen mit Kampagnenwissen oder stößt solche Initiativen an. Changing Cities ist als gemeinnützig anerkannt.

Über die Initiative Volksentscheid Fahrrad: Hinter dem Volksentscheid stehen Engagierte, Mobilitätsexpert*innen, Demokratie-Retter*innen und Fahrrad-Enthusiast*innen. Viele Verbände, Unternehmen und Wissenschaftler*innen unterstützten das Anliegen, das Radverkehrsgesetz (RadG) schnell in Kraft zu setzen. Ziel ist, dass wir Berlinerinnen und Berliner sicher und entspannt Rad fahren können; dafür hat die Initiative das Berliner RadG erarbeitet. Nur mit dem RadG kann der Senat dauerhaft verpflichtet werden, schnell und aktiv eine gute Radinfrastruktur zu schaffen. Der 10-Punkte-Plan des geplanten Gesetzes benennt konkrete Maßnahmen, jährliche Zielsetzungen und eine Umsetzungsverpflichtung innerhalb von acht Jahren. Der Volksentscheid Fahrrad ist Berlins schnellster Volksentscheid: Der Antrag auf Einleitung eines Volksbegehrens wurde innerhalb von nur dreieinhalb Wochen von 105.425 Berlinern unterschrieben – sieben Prozent der Wählerstimmen. Die neue Koalition hatte zugesagt, alle Ziele und Forderungen zu übernehmen, ein Mobilitätsgesetz auf Basis des RadGs bis Frühjahr 2017 in Kraft zu setzen und ab 2018 jährlich mehr als 50 Mio. Euro in die Radwege zu investieren. Über 100 aktive Mitstreiter*innen organisieren sich selbst durch Online-Projekttools und durch schnelle, handlungsorientierte Entscheidungsfindung.